München – Die CSU hat mehrere triste Wahlpartys hinter sich, ein Mineralwasser um 18 Uhr und dann vor der ersten Hochrechnung fluchtartig die Parteizentrale verlassen. An diesem Abend haben sich aber ein paar Dutzend Anhänger versammelt, die – beinahe trotzig – endlich mal wieder jubeln wollen, komme was wolle.
Sie feiern die erste Prognose fähnchenschwenkend, obwohl noch unter 40 Prozent, das wäre das schlechteste CSU-Ergebnis bei einer Europawahl überhaupt. Sie bejubeln frenetisch den Spitzenkandidaten, obwohl Manfred Weber an dem Abend gar nicht in München ist. Eine Pappfigur des Kandidaten wird auf die Bühne geholt und mit „Manfred“- Sprechchören gefeiert. Und später, als der schwarze Balken auf 40,7 Prozent steigt, führen junge Parteimitglieder einen ungestümen Freudentanz auf, bei dem Weingläser zu Bruch gehen und ein Minister fast zu Boden gerempelt wird.
Was da so übermütig gefeiert wird, ist in Wahrheit ein Ergebnis mit Licht und Schatten. Die CSU landet deutlich über dem desaströsen 37-Prozent-Ergebnis der Landtagswahl vom Oktober 2018. Sie hat wohl mit Weber auf den richtigen Spitzenkandidaten gesetzt und punktet mit einem klar proeuropäischen Kurs, anders als 2014. Aber: Was die Union insgesamt an diesem Abend erlebt, ist eine historische Klatsche.
Eigentlich sind es zwei Wahlergebnisse, die so wirken, als wären sie auf unterschiedlichen Planeten entstanden. Die CSU legt leicht zu, kann statt fünf wohl fortan sieben Abgeordnete nach Brüssel entsenden (Manfred Weber, Angelika Niebler, Markus Ferber, Monika Hohlmeier, Christian Doleschal, marlene Mortler und vielleicht Bernd Posselt). Die 40 Prozent sind für Parteichef Markus Söder symbolisch extrem wichtig, ebenso wie das schlechtere Ergebnis der AfD in Bayern. Gleichzeitig verschieben sich die Machtverhältnisse in der Union. Im Schnitt dürfte die CSU rund 12 Punkte über der CDU liegen, das ist viel mehr als in anderen Jahren. Die Schwesterpartei stürzt nämlich dramatisch ab. Unter 30 Prozent sind es bundesweit, und da sind die CSU-Zahlen bereits eingerechnet. Die CDU allein dürfte nur noch ein Viertel der Wähler erreichen, fast Augenhöhe mit den Grünen.
Die tanzenden Christsozialen in München sind also nur ein kleiner Ausschnitt der Realität. Dass die Stimmung in der Union eine andere ist, merkt man in eher leisen Gesprächen. Bei den Jungwählern haben CDU und auch CSU massiv an die Grünen verloren. Selbst Söder rät zur Zurückhaltung. Per Video lässt er sich am Abend aus der Berliner CDU-Zentrale zur CSU-Party zuschalten. „Nicht übermütig werden, es ist alles ok, aber noch viel Luft nach oben“, sagt er, das geht etwas im Jubel unter.
Tatsächlich bereitet den Parteistrategen die CDU-Lage schwere Sorgen. An diesem Abend wird dafür vor allem ein Erklärungsansatz bemüht: das schlechte Bild der Bundesregierung. „Der Zustand der Großen Koalition ist einer der Gründe“, sagt Söder. Über „endlose Selbstbespiegelungsprozesse“ klagt er, „kein gutes Zeugnis“.
Man merkt das auch der CDU-Vorsitzenden an. Annegret Kramp-Karrenbauer tritt in Berlin mit Söder und Weber vor die Kameras, sie wirkt enttäuscht. Auch sie murrt über die Arbeit der Bundesregierung, in der sie selbst ja nicht sitzt. „Wir haben in der Regierungsarbeit nicht die Dynamik entwickelt, die die Bürger erwarten“, sagt sie. Ja, und den Anspruch als eine Volkspartei erfülle die CDU mit diesem Ergebnis nicht. Sie räumt auch Fehler im Wahlkampf ein, wohl die schwache Reaktion auf die scharfe Kritik von jungen Youtube-Stars im Internet.
Laut sagt es keiner, aber in der CDU wird in den kommenden Wochen die Debatte um Kanzlerin Angela Merkel noch mal Fahrt aufnehmen. Wird es Zeit für den Wechsel? Und wenn ja, dann ein Wechsel zu Kramp-Karrenbauer? „Ich gehe davon aus, dass in der CDU viele wissen, was jetzt ansteht“, sagt der frisch wiedergewählte CSU-Mann Ferber. Die Junge Union im Bund fordert, die CDU müsse ihre „schweren kommunikativen Fehler aufarbeiten“. Auch eine Kabinettsumbildung steht im Raum, neue, frische Köpfe. Die Parteivorsitzende selbst verweist nur auf die Klausurtagung kommende Woche, sie will das nicht anheizen.
Vor allem, weil der Kampf nach der Wahl beginnt, um Weber gegen Widerstände als EU-Kommissionspräsidenten durchzusetzen. Die CSU fordert von der CDU und von Merkel, jetzt mit besonderer Inbrunst für ihn zu kämpfen. Es klingt noch nach unterschiedlicher Intensität. Kramp-Karrenbauer redet vom „Anspruch“, dass Weber die Kommission „übernehmen soll“. Bei Söder heißt es: Muss! In München sagt ein hoher CSUler schroff, Kanzlerin und AKK mögen bitte genau das Wahlergebnis anschauen: „Wir als CSU haben denen den Arsch gerettet.“
Worte, die Weber nicht in den Mund nehmen würde. Auch er bekräftigt aber seinen Führungsanspruch. Seit Tagen laufen im Hintergrund Gespräche mit Staats- und Parteichefs, ab Montag verhandelt er offiziell mit den Fraktionen im Europaparlament. „Das bayerische Ergebnis gibt mir die Möglichkeit, in Europa kraftvoll aufzutreten“, sagt Weber im Fernsehen. Ob es klappt, wagen nicht alle in seiner Partei zu bejahen, auf der Münchner Wahlparty reicht der Satz aber für ergiebige „Manfred“-Schlachtrufe.