Sanfte Ibiza-Watschn für Populisten

von Redaktion

Der Skandal um das Ibiza-Video hat Österreichs Regierung zerstört und den Vizekanzler gestürzt. Doch dessen FPÖ kommt am Wahlabend mit einem blauen Auge davon. Wie die AfD hoffen die Freiheitlichen nun, mit ihren Partnern in anderen Ländern Europas Populisten noch stärker zu machen.

VON SEBASTIAN HORSCH

München – Auch ein kleiner Verlust kann sich wie ein großer Sieg anfühlen. Als die erste Prognose über Östereichs Fernseh-Schirme flimmert, klingt der Jubel im Parteilokal der FPÖ sogar noch lauter als beim Wahlsieger ÖVP. Dass die Freiheitlichen verloren haben – knapp zwei Prozentpunkte im Vergleich zur Wahl 2014, bei der sie fast 20 Prozent holten – ist ihnen natürlich klar. Vergleicht man das gestrige Ergebnis mit den Umfragen in der ersten Mai-Hälfte, als die Partei bei rund 23 Prozent lag, haben sie sogar noch ein paar Federn mehr gelassen. Doch die vernichtende Niederlage, die viele nach dem Ärger um das Ibiza-Video vorausgesagt hatten, die ist ausgeblieben.

Der von „Spiegel“ und „SZ“ veröffentlichte Ibiza-Film hatte gezeigt, wie der inzwischen zurückgetretene FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache dubiose Geschäfte mit einer vermeintlichen Oligarchin anbahnte. Ein Skandal, der da enthüllt wurde. Doch laut einer ORF-Erhebung haben 8 Prozent ihrer Wähler die Partei nun sogar gerade wegen des Videos gewählt. „Jetzt erst recht“ – die FPÖ-Kampagne der letzten Tage scheint aufgegangen zu sein.

Für Spitzenkandidat Harald Vilimsky ist das „eine Sensation nach so einem heimtückischen Manöver aus Deutschland“. Das Ergebnis zeige, wie groß das Stammwählerpotenzial der FPÖ sei. Beinahe euphorisch kündigte er gestern die „größte Wählerrückholaktion, die Österreich je gesehen hat“ an.

Dass selbst ein solch handfester Skandal die FPÖ nicht mehr kostet als ein paar Prozentpunkte, zeigt auch, wie etabliert die Rechtspopulisten inzwischen sind – und zwar nicht nur in Österreich.

Die rechtspopulistische Fidesz-Partei des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán fuhr mit rund 52 Prozent der Stimmen einen haushohen Sieg ein. In Belgien sind die flämischen Nationalisten wieder stärkste Kraft, die 2018 wegen des UN-Migrationspakts die Regierungskoalition platzen ließen. Und spät am Abend wurde dann auch klar, dass die rechte italienische Regierungspartei Lega auch bei der Europawahl stärkste Kraft ihres Landes geworden war. Sie erreichte zwischen 27 und 31 Prozent der Stimmen, ging aus Nachwahlbefragungen hervor – und das nach nur 6,2 Prozent bei der Europawahl 2014. „In Italien ändert sich nichts, in Europa ändert sich alles“, hatte Salvini schon schon am Nachmittag großspurig angekündigt, nachdem er selbst seine Stimme abgegeben hatte. Mit Riesenambitionen war er in die Wahl gegangen, wollte das neue „Bündnis Europäische Allianz der Völker und Nationen“ zur größten Parteienfamilie im Parlament machen. Das allerdings dürfte schwierig werden.

Denn trotz allem ist diese Wahl kein reiner Triumphzug der Rechtspopulisten. In Finnland erfüllen die rechten „Die Finnen“ ihre Erwartungen nicht. In Dänemark erleidet die Dänische Volkspartei sogar heftige Verluste. Auch in Deutschland legt die AfD im Vergleich zu 2014 zwar um mehr als drei Prozentpunkte zu und wird in Teilen Ostdeutschlands sogar stärkste Partei. Die AfD hatte als Wahlziel aber in etwa das Ergebnis der Bundestagswahl ausgegeben, bei der sie 12,6 Prozent geholt hatte – und es somit verfehlt.

Allerdings erkennt AfD-Spitzenkandidat Jörg Meuthen einen größeren Überbau. „Wir lassen uns aus den Parlamenten nicht mehr rauskegeln“, sagt er am Abend. Und mit ihren etwa zehn Europaabgeordneten werde die Partei im EU-Parlament eben „nicht allein“ sein, betont er. Seine Partei werde dort mit der italienischen Lega zusammenarbeiten, und auch mit der österreichischen FPÖ, sagt er unter dem Beifall seiner Anhänger in einer Tanzschule am Rande Berlins. Und, so Meuthen, natürlich auch mit dem französischen Rassemblement National.

Dessen Chefin Marine Le Pen war wie Salvini in Italien und Nigel Farage, der Held der Brexit-Bewegung, in Großbritannien mit dem Ziel angetreten, die Populisten in Frankreich zum Wahlsieg zu führen. Am Abend sieht es aus, als hätte sie es geschafft. Le Pens Partei wurde laut Prognosen mit rund 24 Prozent stärkste Kraft. Die République en Marche von Präsident Emmanuel Macron kommt demnach auf 22 bis 23 Prozent – eine empfindliche Niederlage für den Staatschef. Le Pen ruft Macron noch am Abend auf, die Konsequenzen zu ziehen, die Nationalversammlung aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Denn Le Pen hatte die Wahl zu einem „Referendum“ gegen den Staatschef erklärt, der auch durch die Proteste der „Gelbwesten“-Bewegung schwer unter Druck steht.

Die AfD werde in Europa „nicht allein“ sein, sagt Meuthen

Artikel 2 von 11