„Die Lage muss uns sehr beängstigen“

von Redaktion

In der CDU rumort es nach der Europawahl-Klatsche. Der Chef der Jungen Union geht in die Offensive, wirft der Parteizentrale „Versagen“ vor. CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer sagt Reformen zu. Bis 2020.

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

Berlin/München – In der Nacht auf Montag muss in der CDU-Zentrale jemand eine interessante Entscheidung treffen. Es geht um die Wahlanalyse der für die Partei ziemlich bitteren Europawahl, ein paar kluge Gedanken zum Absturz um sieben Punkte. Klartext, Fehler ehrlich benennen? Oder lieber ein bisschen Schönfärben, falls das Papier in fremde Hände gerät?

Die Mitarbeiter wählen Klartext, in fremde Hände gerät die Analyse tatsächlich, und in der CDU herrscht Aufregung. „Es ist nicht gelungen, die eigenen Themen innere und äußere Sicherheit, Frieden und Wohlstand stärker in den Mittelpunkt der Debatten zu stellen“, steht im Papier. Mit einer „Serie der Unentschlossenheit“ sei die CDU den Klimastreiks und den Attacken im Internet begegnet. Debatten zu einem „vermeintlichen ,Rechtsruck‘ der Jungen Union und die medial präsente Werte-Union“ vertrieben jüngere Wähler.

In der CDU-Spitze bietet die ehrliche Analyse Zündstoff. JU-Chef Tilman Kuban re- agiert ab Montagmorgen mit einer Serie von Interviews. „Vor der eigenen Haustür kehren, statt den Nachwuchs beschimpfen“ solle die Parteizentrale. Das CDU-Management habe „in der letzten Woche völlig versagt, und jetzt sollen andere schuld sein“, sagt er der „Welt“. Die politische Lage müsse „uns sehr, sehr beängstigen“.

Kuban hat persönlich Groll im Bauch. Er hat selbst soeben den Einzug ins Europaparlament verpasst wegen der miesen CDU-Zahlen. Der Parteispitze, gegen deren Pläne er im März JU-Bundesvorsitzender wurde, fühlt er sich ohnehin nicht zu Dank verpflichtet; auch nicht Vorgänger Paul Ziemiak, der jetzt Generalsekretär ist. Das ordnet Kubans wütende Worte ein Stück weit ein; in der Tat sind sie ungewöhnlich für die sonst sehr disziplinierte CDU. Zudem ist es für eine Partei gefährlich, wenn der Nachwuchs murrt, denn er trägt in Wahlkämpfen die Hauptlast.

Die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer versucht eilig, der Debatte die Schärfe zu nehmen. Sie will kein Aufflammen der alten Richtungsdebatte, ob Merkel über Jahre nach links zog und das Konservative vernachlässigte. „Es gibt keinen Rechtsruck“, sagt sie, lediglich das „Image eines Rechtsrucks“. Niemandem habe man dies unterstellen wollen, erklären auch ihre Leute.

Teil zwei der kritischen Analyse teilt Kramp-Karrenbauer aber offenbar: dass die Partei zu leise war zu den Klimastreiks und völlig sprachlos, als ein Youtube-Star im Internet eine millionenfach geklickte Tirade auf die CDU losließ. Auf ein Video eines Promis aus der Welt der Jugendlichen zu reagieren, den im Parteivorstand wahrscheinlich vorher niemand kannte, fiel der alten CDU schwer. „Zu diesem Ergebnis haben als Allererstes eigene Fehler geführt“, sagt Kramp-Karrenbauer offen. Bis zum Parteitag 2020 werde es eine inhaltliche und organisatorische Neuaufstellung geben. Eines der Hauptziele ist, den dramatischen Absturz bei Jungwählern zu stoppen.

Die CSU zeigt sich auffällig solidarisch. Halblaut murmeln Christsoziale, die CDU hätte emsiger für den gemeinsamen Spitzenkandidaten Manfred Weber Wahlkampf machen können. Laut sagt CSU-Chef Markus Söder aber, man wolle „keinesfalls die CDU belehren, wir haken uns unter“. Intern bittet er Kollegen, Ruhe zu bewahren.

Söder hat in der Umweltpolitik schneller reagiert, wenn auch getrieben vom Artenschutz-Volksbegehren. Seine Wahlbilanz ist besser, 787 000 Wähler gewann die CSU sogar hinzu, hat aber ebenso ein dickes Problem bei den Jungwählern, von denen 31 Prozent grün wählten und nur 15 Prozent schwarz.

Der Parteichef will nun weitere Hausaufgaben erledigen. Generalsekretär Markus Blume und Parteivize Dorothee Bär sollen ein Konzept entwickeln, die CSU zu verjüngen. Söder kündigt erneut an, die Kommunikation komplett umzubauen. „Die alte Welt beginnt sich zu verabschieden. Wir müssen unsere digitale Kommunikation fundamental ändern, analoge Strukturen reduzieren oder zum Teil einstellen.“ Der erste radikale Schnitt: Das so traditionsreiche wie defizitäre Parteiblatt „Bayernkurier“ wird noch heuer eingestellt.

Artikel 1 von 11