Weber erhebt Führungsanspruch in EU

von Redaktion

Ringen um Kommissionspräsidenten – Auch Liberale Vestager kandidiert

Brüssel/München – Es war eine kurze Nacht für Manfred Weber, eher eine Art Leben im Flugzeug: Sonntagmittag noch in Niederbayern, Sonntagabend in Berlin, Sonntagnacht in Brüssel, Montagfrüh schon wieder in München, dann Rückflug nach Brüssel. Für Schlaf und Ruhe ist auch gerade keine Zeit – für Weber haben die entscheidenden Verhandlungen begonnen, ob er Europas mächtigster Politiker wird oder leer ausgeht.

Mit einer Kampfansage untermauert der CSU-Politiker seinen Führungsanspruch in Europa. Es werde kein Kommissionspräsident gewählt werden, der nicht vorher als Spitzenkandidat „Gesicht und Programm gezeigt hat“, sagt Weber vor dem CSU-Vorstand in München.

Welcher der Spitzenkandidaten es dann sein soll, ist für ihn auch keine Frage. Seine christdemokratische Parteienfamilie EVP könne sich zwar „weiß Gott nicht als strahlender Gewinner bezeichnen“. Sie leite aus ihrem „soliden Ergebnis“ – weiterhin stärkste Kraft im Parlament – aber den Anspruch ab, die Führung der mächtigen EU-Kommission zu stellen. Das sei eben ein Prinzip einer Demokratie.

Bereits am Montagabend wollte er mit Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen über ein künftiges Bündnis im Parlament sprechen. Doch das Treffen kam nicht zustande. Für heute 10 Uhr ist ein offizielles Treffen anberaumt. Vor allem Grüne und Liberale dürften nach ihrem Höhenflug bei der Wahl mit breiter Brust in die Gespräche gehen.

Gegen wen wird sich der Bayer nun behaupten müssen? Und hat er eine realistische Chance auf die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker?

Offensichtlichster Gegenspieler ist der Niederländer Frans Timmermans, Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten. Allerdings hat seine Parteienfamilie noch mehr Sitze verloren als die EVP. Auch zusammen mit Grünen, Liberalen und Linken kämen die Sozialdemokraten im Europaparlament nicht auf die nötige Mehrheit von 376 der 751 Abgeordneten. Entsprechend „bescheiden“ gab sich Timmermans in der Wahlnacht. Ganz anders die ebenfalls „gerupfte“ SPD-Chefin Andrea Nahles. Sie kündigte gestern an, Timmermans müsse Kommissionspräsident werden, dafür werde man in Brüssel kämpfen. Auch die liberale EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager trat kämpferisch auf. Sie sagte erstmals deutlich, dass sie Kommissionspräsidentin werden wolle.

Weber, Timmermans, Vestager – damit es einer von ihnen wird, müssten sich zunächst die EU-Staats- und Regierungschefs darauf einigen. Denn sie haben das offizielle Vorschlagsrecht. Anschließend muss das Parlament mehrheitlich zustimmen. Hier hängt viel von den Grünen ab. Sven Giegold, Spitzenkandidat der deutschen Grünen, stellt klar, dass seine Partei Vorschläge von Bundeskanzlerin Merkel und ihren Kollegen nicht einfach so abnicken wird: „Wir wollen, dass es ein Spitzenkandidat wird.“ Kandidaten, die bisher immer wieder als Alternative genannt wurden, wären nach dieser Lesart raus. Der Brexit-Chefverhandler der EU, Michel Barnier, etwa, oder der niederländische Premier Mark Rutte.

Schon heute kommen die Staats- und Regierungschefs der EU zu einem informellen Gipfel zusammen, um über die Posten zu beraten. Dort unterscheiden sich die Mehrheiten von denen im Parlament. Vor allem der französische Präsident Emmanuel Macron sieht Weber äußerst kritisch. Sollte es zwischen den Staats- und Regierungschefs sowie dem Parlament keinen Konsens geben, droht eine monatelange institutionelle Blockade. Kanzlerin Angela Merkel sprach sich für eine schnelle Entscheidung für einen neuen Kommissionschef aus. Es wäre „wünschenswert“, wenn bis zur Konstituierung des EU-Parlaments ein Vorschlag des Rates vorliegen würde. „Wir müssen handlungsfähig sein in der EU“, mahnte Merkel. A SARTOROS, M. WINDE, C. DEUTSCHLÄNDER

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