Brüssel – Der konservative Spitzenkandidat Manfred Weber (CSU) bekommt kräftigen Gegenwind auf dem Weg zu seinem Wunschposten des EU-Kommissionschefs. Bundeskanzlerin Angela Merkel warb zwar bei einem EU-Sondergipfel am Dienstag in Brüssel für Weber, doch stellen sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und weitere EU-Staats- und Regierungschefs quer. Nun soll EU-Ratschef Donald Tusk vermitteln und bis Ende Juni ein Personalpaket vorschlagen. Das war das einzige greifbare Ergebnis des rund dreieinhalbstündigen Gipfels.
Merkel räumte zum Abschluss Unstimmigkeiten ein. Macron sei kein Freund des Prinzips, dass nur Spitzenkandidaten zur Europawahl auch Kommissionschef werden könnten. „Wir waren uns einig, dass wir heute noch keine Entscheidung treffen können“, sagte die CDU-Politikerin. Über Namen sei bewusst noch nicht gesprochen worden.
Merkel erneuerte ihren Appell, die Personalentscheidungen im Konsens zu suchen. „Jeder ist aufgefordert, tolerant und kompromissbereit zu sein“, sagte sie. Es gelte, keine Wunden zu reißen, die später Sachenentscheidungen erschweren würden, etwa die Aufstellung eines langjährigen Haushaltsplans.
Webers Europäische Volkspartei war bei der Europawahl am Sonntag trotz herber Verluste wieder stärkste Kraft im EU-Parlament geworden. Deshalb erhebt der 46-jährige CSU-Politiker Anspruch auf die Nachfolge von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Allerdings müsste er nicht nur im Parlament, sondern auch im Rat der Staats- und Regierungschefs eine Mehrheit finden. Nötig wäre dafür ein Bündnis mit Sozialdemokraten und Liberalen oder Grünen.
Gesprochen wird deshalb über inhaltliche Forderungen ebenso wie über ein Personalpaket, bei dem alle Partner bedacht werden könnten. Das bestätigte Merkel nach den Gesprächen. Gesucht wird neben dem Kommissionschef auch ein Nachfolger für Tusk, für die Außenbeauftragte Federica Mogherini, für Parlamentspräsident Antonio Tajani und für den Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi. Sie alle scheiden in den nächsten Wochen und Monaten aus.
Tusk sagte, einige Staats- und Regierungschefs hätten ihre Ablehnung des sogenannten Spitzenkandidatenprozesses bekräftigt. Vielmehr würden die Staats- und Regierungschefs einen Kandidaten vorschlagen, das Parlament werde über diesen abstimmen.
Die Fraktionschefs des Europaparlaments hatten am Dienstagmorgen eine gegenteilige Ansage gemacht: Sie legten sich fest, dass sie nur einen der Spitzenkandidaten als Kommissionschef wählen wollen. Dann kommen streng genommen nur Weber und sein sozialdemokratischer Gegenspieler Frans Timmermans in Frage. Uneins sind die Parlamentarier, ob auch die Liberale Margrethe Vestager zum Kreis der Kandidaten gehört. Sie war nur in einem größeren „Spitzenteam“ und hatte nicht für das Parlament kandidiert. Klar ist, dass das Parlament keinen Überraschungskandidaten von außen will.
Macron und andere liberale Staats- und Regierungschefs wollen die Auswahl aber nicht auf die Spitzenkandidaten beschränken, sondern freie Hand. Sie pochen auf das Vorschlagsrecht des Rats. Nach dem Gipfel sagte er: „Wir brauchen die Besten.“ Es könnten durchaus zu den bekannten Namen noch welche hinzu kommen. Macron hatte zu Beginn des Gipfels gesagt, zuerst gehe es ohnehin nicht um Namen, sondern um ein politisches Programm für die nächsten fünf Jahre.