Lange strömten die Wähler in Europa nicht mehr so zahlreich zu den Urnen wie am letzten Wochenende. Umso ärgerlicher, dass die Botschaft der Menschen im Kreise der EU-Staats- und Regierungschefs bei manchen auf taube Ohren stößt. Den Wahlsieger im Parlament automatisch zum Präsidenten der Kommission berufen, wie es 2014 geschah? Diesen „Betriebsunfall“ wollen einige Herren im Rat nicht wiederholen und den Topjob doch lieber im Hinterzimmer ausknobeln. Für Manfred Weber, den Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei, die trotz Einbußen immer noch die stärkste Fraktion im Parlament stellt, beginnt ein hartes Stück Weg bis zur Juncker-Nachfolge. Ausgang ungewiss.
Mit Frankreichs Präsident Macron spielt ausgerechnet jener Präsident den Blockadechef, der sonst so gerne mehr Bürgerbeteiligung in Europa einfordert. Und da Kanzlerin Merkel bisher zum deutschen Kandidaten Weber steht, herrscht Dissens, wohin man blickt: zwischen Personen, Nationen und Institutionen. Eine Kapitulation des Parlaments vor dem Willen des Rates scheint ausgeschlossen. Weber muss in den nächsten Wochen den zweiten Trumpf ziehen, der neben dem Wahlsieg für ihn als Kommissionspräsidenten sprechen würde: Er muss eine Koalition im Parlament schmieden. Die Sozialdemokraten allein genügen nicht mehr, auch Grüne oder Liberale werden für eine Mehrheit gebraucht.
Man kann nur hoffen, dass das Tauziehen um die Macht jetzt nicht über Monate anhält. Dann wäre der Schwung der Wahl schon wieder dahin.
Alexander.Weber@ovb.net