Rom – Mit ernster Miene tritt Ignazio Visco, Präsident der italienischen Zentralbank, ans Rednerpult. Schon seine ersten Sätze klingen wie eine prophetische Warnung. „Worte sind Taten. In der Finsternis wiegt jedes Wort doppelt“, zitiert er den Philosophen Elias Canetti. „Es macht keinen Sinn, Europa für die eigenen Probleme verantwortlich zu machen.“ Dass sein jährlicher Report mit dem Jahrestag der Vereidigung des ersten Populisten-Kabinetts in der Geschichte des Landes zusammenfiel, mag Zufall sein oder nicht. Doch sein Bericht wurde allgemein als Bilanz des ersten Regierungsjahres von Lega und 5 Sternen gewertet. Und die ist, aus wirtschaftlicher Sicht, vernichtend.
Die Indikatoren sprechen für sich: Das Bruttosozialprodukt ist im letzten Trimester auf 0,1 Prozent abgestürzt, quasi Null-Wachstum – der niedrigste Stand seit 2013, als der Partito Democratico die Parlamentswahl gewonnen hatte und Matteo Renzi mit seinen Reformen begann.
Der sogenannte Spread, der Zinsaufschlag auf italienische Staatsanleihen im Vergleich zu den deutschen, kratzt mal wieder an der Schwelle von 300 Punkten. Im Klartext: Die Zinsen, die das Land an den internationalen Finanzmärkten zu zahlen hat, haben sich in den vergangenen 15 Monaten (seit der letzten Wahl also) fast verdoppelt. Das Haushaltsdefizit befindet sich mit 134,4 Milliarden Euro auf einem neuen Höchststand. Die EU-Kommission wird in den nächsten Tagen über Strafmaßnahmen beraten. Italien steht wieder dort, wo es sich am Ende der Ära Berlusconi 2011 befand: am finanziellen Abgrund.
Rückblende: Als sich die schillernden Koalitionspartner auf eine gemeinsame „Regierung des Wandels“ geeinigt hatten, waren die Erwartungen riesig. Nicht weniger als den „Umbau Italiens“ wollten die ungleichen Partner vorantreiben. Solidarisches Grundeinkommen für alle (5 Sterne), Flat Tax von 15 Prozent (Lega), Referendum über einen Euro-Austritt (beide), strikte Begrenzung der illegalen Einwanderung, mehr öffentliche Sicherheit, Senkung des Rentenalters, Modernisierung der Verwaltung, Abbau der Bürokratie, Steueramnestie etc. Ein politisches Warenhaus, aus dem sich jeder Wähler das Passende aussuchen konnte. Die Populisten von der Sterne-Bewegung triumphierten mit rund 35 Prozent, die ultrarechte Lega legte auf 17 zu. Beide wollten um jeden Preis an die Macht.
Da sich die Parteiführer Matteo Salvini und Luigi Di Maio schon damals nicht über den Weg trauten, wurde die Personalfrage salomonisch gelöst. Premierminister wurde der weitgehend unbekannte Rechtsprofessor Giuseppe Conte aus den Reihen der Grillini, seine Stellvertreter Salvini (Inneres) und Di Maio (Wirtschaft und Soziales). Der eine punktete als knallharter Migrantenschreck, der andere setzte sein Bürgergeld weitgehend in den Sand. Salvini wurde immer mächtiger, Di Maio immer blasser. „Die Rollen von Koch und Kellner haben sich quasi umgedreht“, so heißt es aus der Fraktion des Movimento. Von „bewusster Demütigung durch die Lega“ ist die Rede.
In der Tat: Seit dem Triumph bei der Europawahl diktiert Lega-Chef Salvini die Bedingungen: Steuersenkungen, Flat Tax. Weiterbau der umstrittenen Zugtrasse Turin-Lyon und eine Amnestie für Steuersünder. Gerade letzteres ein No-Go für die genervten Grillini. Eine Taktik der Dolchstöße, die den Koalitionspartner zermürben soll, so Insider. Salvini weiß um die Wucht seiner Worte; er sieht seine Stunde gekommen. „La Repubblica“ kommentiert: „Salvini schraubt die Forderungen immer höher. Es naht der Punkt, da werden die Cinque Stelle ans Ende der Geduld kommen. Neuwahlen im September sind fest eingespeist.“