Conte setzt alles auf eine Karte

von Redaktion

Italien: Trotz der Rücktrittsdrohung des Premiers gehen die Querelen weiter – Zeichen stehen auf Neuwahlen

Rom – Als Giuseppe Conte am Abend im Palazzo Chigi vor die Kameras trat, warf er seine gesamte staatsmännische Würde in die Waagschale. Hinter ihm die Flaggen Italiens und Europas. So klar, so bestimmt hatte man den Premierminister selten erlebt. Ob die Drohung mit seinem Rücktritt ausreicht, um das fragile Bündnis aus Movimento 5 Stelle und Lega zu retten? Und Matteo Salvini zur Raison zu bringen?

Nach Contes Paukenschlag herrschen in den Medien des Landes erhebliche Zweifel. Spätestens seit dem Triumph der Lega bei der Europawahl befindet sich die Koalition aus Populisten und Rechtsextremen im freien Fall. Bei den 5 Sternen fürchtet man, dass Lega-Chef Salvini im Höhenrausch der Umfragen rasche Neuwahlen anstrebt und den Schwarzen Peter dafür den Grillini zuschieben wolle.

Genau diesen Ball habe Conte mit seinem Ultimatum zurückgespielt, schreibt der Mailänder Corriere della Sera. „Es geht nicht mehr darum, ob es endet, sondern wie es endet.“ Mit seinem deutlichen Bekenntnis zur Einhaltung der Euro-Stabilitätsregeln präsentiere Conte seine Partei als Kraft der Verantwortung und Stabilität, so die Tageszeitung. Doch wie geht es jetzt weiter? Drei Szenarien kursieren.

Schnelle Neuwahlen: Sollte der Streit innerhalb des Bündnisses unverändert weitergehen und Conte das Handtuch werfen, geht man allgemein von Neuwahlen aus. Im Quirinalspalast, dem Sitz des Staatspräsidenten, richtet man sich auf die Auflösung beider Parlamentskammern zum 15. Juli und Neuwahlen am 29. September ein. Die Lega könnte dabei, zusammen mit den kleinen Neofaschisten, auf eine Mehrheit der Sitze hoffen. Doch die hohe Dynamik bei den Wählern könnte bis zum Urnengang im Herbst die politische Stimmung noch drastisch verändern.

Neutrale Expertenregierung: Die Akteure könnten die Rechnung ohne den Staatspräsidenten gemacht haben. Sergio Mattarella kommt bei einer Regierungskrise die Schlüsselrolle zu. Für den überzeugten Europäer hat die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität Italiens oberste Priorität. Er könnte deshalb eine Art Notfallkabinett seines Vertrauens einsetzen, das zur Aufgabe hat, die Staatsfinanzen zu sanieren und das angeschlagene Vertrauen der Partner wiederherzustellen. Für den Chefsessel heiß gehandelt: EZB-Chef Mario Draghi, dessen Amtszeit als Präsident der Europäischen Zentralbank im Oktober endet.

Die Scheidung wird vertagt: Angesichts der totalen Zerrüttung der Koalitionspartner ist das die unwahrscheinlichste Variante. Doch manchmal hat der Blick in den Abgrund ungeahnte Sinneswandel zur Folge. Die Angst vor der Unberechenbarkeit der Wähler könnte 5-Sterne-Bewegung und Lega vorläufig zum Weitermachen bewegen. Doch es wäre wahrscheinlich ein zähes Dahinschleppen – bis zur nächsten Krise. INGO-MICHAEL FETH

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