Streit um Sarah Connors Song

Eine fatale Entwicklung

von Redaktion

MICHAEL SCHLEICHER

In ihrer neuen Single „Vincent“ singt Sarah Connor: „Vincent kriegt keinen hoch, wenn er an Mädchen denkt.“ Ein läppischer Satz über eine homosexuelle Liebe in einem durchschnittlichen Popsong. So weit, so banal. Doch die zitierte Zeile ist für einige Radiosender Grund genug, den Titel nicht zu spielen. Wohlgemerkt: Das ist keine Reaktion auf Hörerproteste – auch das wäre fragwürdig. Viel schlimmer ist, dass sich die Sender freiwillig Selbstzensur auferlegt haben. Es wäre daher unvernünftig, die Aufregung um das Lied zu belächeln. Denn die „Vincent“-Debatte passt zu einer Entwicklung, die unsere ach so liberale Gesellschaft erfasst hat.

Die Freiheit der Kunst ist ein Grundrecht. Heute träumen (Rechts-)Populisten wieder davon, Kritik durch die Künste zu minimieren, indem die Spielräume des Sag- und Darstellbaren beschnitten werden. Oft scheint das gar nicht mehr nötig zu sein: Da wurde an einer Wand in Berlin ein Gedicht von Eugen Gomringer übermalt, da wurden Bilder aus Museen entfernt, da forderten gut 30 000 Menschen, Matt Damon aus einem Film zu streichen, weil er einen Artikel in der „New York Times“ über den Produzenten Harvey Weinstein verhindert haben soll (was Schauspieler und Redaktion bestreiten). Die Liste ließe sich fortsetzen, und das ist fatal. Denn sie zeigt, dass die Gesellschaft selbst gerade dabei ist, der Kunst immer engere Grenzen zu setzen. Damit schnüren wir jedoch nicht nur den Künstlern die Luft ab.

Michael.Schleicher@ovb.net

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