München – Der Tag heute läuft für Hubert Aiwanger praktisch im Schweinsgalopp. Er ist nach Warschau geflogen, trifft im 50-Minuten-Takt Botschafter, zwei Staatssekretäre, fliegt weiter nach Breslau, besucht weitere Diplomaten, Parlamentarier, redet auf einem Empfang. Das Reiseprogramm vermerkt, man werde ihm mittendrin eine Lunchbox in die Hand drücken. Nein, tauschen möchte man mit dem Wirtschaftsminister an diesem Tag nicht – dabei dürfte das für Aiwanger fast eine Erholungsreise sein.
Die Tour nach Polen ist Routine. Viel spannender ist, was in der Heimat anfällt. Diese Woche hat die Koalition eines ihrer schwierigsten Themen mühsam gelöst, zumindest vorerst: Bei den umkämpften Stromtrassen durch Bayern fanden CSU und Freie Wähler einen Kompromiss untereinander und mit dem Bund: Es gibt neue Leitungen, aber weniger, teils auch unterirdisch. Aiwanger drohte unsanft zwischen den Stühlen zu landen, angefeindet von zornigen Trassengegnern (fürchten um ihre Heimat) und der aufgebrachten Industrie (fürchtet um die Energiesicherheit). Ob die Lösung jetzt, ergänzt durch mehr Photovoltaik, das Problem löst, ist ungewiss – dafür ist sie gesichtswahrend.
Für Aiwanger war das die bisher größte Bewährungsprobe. Der Niederbayer ist Ende Oktober holprig und regierungsunerfahren ins Amt als Minister, ja sogar Vize-Ministerpräsident gestartet. In der Flutpolder-Debatte brachte er Teile Ostbayerns gegen sich auf, agierte beim Kuhhandel um die Beauftragten-Pöstchen der Staatsregierung unglücklich. Die eigene Fraktion brachte er gegen sich auf, Abgeordnete fühlten sich schlecht eingebunden.
FW-Fraktionschef Florian Streibl stellte dem bis dahin unangefochtenen Alleinherrscher der Partei öffentlich ein Ultimatum. Er solle bis Februar „in seine neue Lebenswirklichkeit gefunden“ haben. Vor Weihnachten wirkte der Minister abgehetzt, ausgelaugt, Grippe, Terminflut. „Es war am Anfang sehr viel“, sagt er heute, „Wahlkampf, Koalitionsverhandlungen, dann sofort in die Regierung.“
Seither hat sich Aiwanger stabilisiert. Große neue Fehler folgten nicht. „Er hat sich eingelebt, eingefühlt“, sagt Fraktionschef Streibl heute. Die Präsenz in der Fraktion sei gut, Absprachen klappten. „Den Schlag auf den Tisch hat es gebraucht“, meint Streibl.
Wirtschaftspolitische Impulse verbindet man mit Aiwanger nicht. Er absolvierte aber eine erste große Runde bei Konzernen und Verbänden, wird dort nun etwas ernster genommen – wenngleich ihm unverändert Dorfwirtshäuser näher sind als Diesel oder Digital-Startups. Der Landwirt ergreift auch gern bei Agrarthemen das Wort, nie zur Freude der zuständigen CSU-Minister.
Gröbere Rempeleien bleiben aber aus. „Ich habe keinen Grund, einen Koalitionskrach zu inszenieren, wenn es nicht nötig ist“, sagt der FW-Chef. Die Zusammenarbeit mit der CSU sei „fair“, mit Markus Söder gebe es eine „Aktionsgemeinschaft“.
Zur Wahrheit zählt: Der Ministerpräsident lässt bisher jede Chance aus, den kleinen Partner zu kritisieren. Er gibt Raum. Wenn sich die Freien Wähler für den Zubau an Photovoltaik feiern wollen, den dem Vernehmen nach eher Söder ausgehandelt hat – bitte sehr. Der CSU-Chef legt noch ein genau abgewogenes Lob drauf. „Menschlich ausgezeichnet“ sei die Zusammenarbeit: „Hubert ist verlässlich und bringt Schwung in die Energiepolitik. Zusammen sind wir dabei, manchen Stillstand abzubauen.“
Entspannend wirkt auch, dass CSU wie Freie Wähler bei der Europawahl leicht zulegten. Wie lange die große Harmonie hält, ist aber fraglich. Bayern steuert auf die Kommunalwahl im März 2020 zu, wo die Freien Wähler der größte CSU-Rivale auf dem Land sind. Söder plant zudem einen Innovations-Schwerpunkt im Herbst, ein Milliardenprogramm, das er kaum dem Fachminister allein zur Verkündung lassen wird.
Auf Aiwanger prasseln derzeit auch schwierige Personalien ein. Die Stelle des verstorbenen Vize-Regierungssprechers, seines engsten Vertrauten, wurde eben nachbesetzt. Schon in wenigen Tagen verlässt nun der Chef der Pressestelle das Haus, wechselt ausgerechnet in Söders Staatskanzlei. Aiwanger verpflichtet bald einen früheren Journalisten aus Augsburg für die Stelle.
Doch im Ministerium klaffen schon neue Lücken. In Kürze wird Amtschef Bernhard Schwab zur Förderbank LfA wechseln. Bald nach der Rückkehr aus Polen muss Aiwanger sein Haus neu (manche sagen: flotter) organisieren. Wie? Noch offen, räumt der Minister ein. Er könne jetzt auch niemanden „morgen aus dem Hut zaubern“.