Rom – Es war ein Blitzbesuch am späten Montagnachmittag. Außer dem obligatorischen Foto, begleitet von ein paar dürren Zeilen, hüllte man sich im Palazzo Chigi, dem Amtssitz des italienischen Regierungschefs, in Schweigen. Im Rennen um den Chefsessel der EU-Kommission befindet man sich in der Sondierungsphase, jedes Wort an die Presse könnte dabei kontraproduktiv sein.
Trotzdem: Das stille Treffen Manfred Webers mit Premier Giuseppe Conte könnte die Chancen des Bayern im Brüsseler Machtpoker erheblich gesteigert haben. So jedenfalls berichten es verschiedene Medien des Landes. Was auf den ersten Blick verwundern mag, die regierenden Populisten haben mit den Konservativen und Christdemokraten der EVP politisch wenig gemein, folgt einer Doppelstrategie.
Der drittgrößte Euro-Staat steht bei der internen Kandidaten-Auswahl für die EU-Spitzenpositionen ziemlich isoliert da. Wirtschaftlich stark angeschlagen, finanziell unter Druck, ein Defizitverfahren aus Brüssel am Hals: Seit Machtübernahme durch Movimento 5 Stelle und Lega hat Italien erheblich an Einfluss und Gewicht verloren. Außer dem jedem Mitgliedsland zustehenden Kommissar wird für Rom bei der personellen Neubesetzung in Europa nichts rauszuholen sein.
Bislang war man stark repräsentiert: Mit der EU-Außenbeauftragten Francesca Mogherini, Parlamentspräsident Antonio Tajani und dem mächtigen EZB-Präsidenten Mario Draghi stellten die Italiener einen echten Machtfaktor dar. Diese Aufstellung stammt allerdings noch aus Zeiten, als in Rom proeuropäische und reformorientierte Kräfte an den Schalthebeln der Macht saßen.
Das seit einem Jahr regierende Bündnis aus Ultrarechten und Populisten hat die Ausgangslage grundsätzlich verändert. Beide Koalitionspartner haben ihre Stimmen mit antieuropäischer Propaganda und Konfrontationskurs zu Brüssel gewonnen. Zudem gehört keine der beiden Kräfte einer großen europäischen Parteienfamilie an, also etwa Europäischer Volkspartei (EVP), Sozialdemokraten (SPE), Liberale (ALDE) oder Grünen. Jene politischen Blöcke, aus deren Reihen (mit Ausnahme Polens) alle europäischen Staats- und Regierungschefs stammen. Sie bestimmen letztlich das Personaltableau, das künftig die EU führen soll.
Viel Rücksicht hat Rom dabei nicht zu erwarten. Conte, der als moderat gilt, weiß das genau. „Es ist immer eine Frage der Alternativen“, wägt ein Berater des Premiers ab. „Wen sollen wir sonst unterstützen? Timmermanns (SPE) ist unser erklärter Feind, Verstager (ALDE) eine Marionette Macrons. Dann lieber Weber, zu ihm ist das Verhältnis zumindest unbelastet.“
Doch die regierenden Populisten verfolgen noch eine weitere Taktik: Wichtigstes Ziel in den Verhandlungen sei, so heißt es auf den Fluren des Palazzo Chigi, den Deutschen Jens Weidmann an der Spitze der Europäischen Zentralbank zu verhindern. Der Präsident der Bundesbank gilt als eiserner Kritiker der Ankäufe von Staatsanleihen durch die EZB. Deren im Oktober scheidender Chef Mario Draghi hatte mit dem umstrittenen Programm über Jahre die Euro-Krisenländer an den internationalen Finanzmärkten vor dem Absturz bewahrt.
Würde nun Manfred Weber in den Brüsseler Chefsessel gewählt, könnte Berlin, nach den internen Proporzregeln der EU, kaum einen weiteren Deutschen durchsetzen – Weidmann wäre aus dem Rennen. Für Rom würde sich mit Webers Wahl an die Spitze der EU-Kommission eine weitere Genugtuung verbinden: Rache an Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, von dem die Populisten bisher so manche politische Demütigung hinnehmen mussten.
Für die Grillini stellt sich in Straßburg derweil eine weitere brennende Frage: In welcher Fraktion will man künftig mitarbeiten? Bislang sitzt man ausgerechnet mit den Brexiteers von Nigel Farage in einer Gruppe. Doch die dürften ja bald weg sein.