Macron schlägt Merkel für EU-Spitze vor

von Redaktion

„Europa braucht starke Persönlichkeiten“: Das Lob für die Kanzlerin ist auch eine weitere Attacke auf Weber

München/Genf – Emmanuel Macron sitzt an einem Tischchen, vor sich ein Glas Wasser, hinter sich die Fahnen von Frankreich und der EU, und durch die Fenster fällt der Blick auf eine Wiese mit Bäumen. Es ist eine angenehme Atmosphäre, in der der französische Staatspräsident dem Schweizer Sender RTS am Dienstag ein Interview gibt. Macron wirkt freundlich und entspannt, aber dass er mit einer konkreten Agenda in dieses Gespräch gegangen ist, das wird doch deutlich. In jener Passage, wo er über Angela Merkel spricht.

Schon zuvor war es um die EU gegangen und darum, wer der Kommission künftig als Präsident vorstehen soll. Der Interviewer fragt Macron, ob nicht die Kanzlerin geeignet sei, und der stimmt freudig zu: „Wenn sie es machen wollte, würde ich sie unterstützen.“ Er ballt die Fäuste und zeichnet mit Worten das Bild einer Präsidentin, die durch ihr Auftreten und Charisma die Kommission fest im Griff hätte. Europa brauche „Gesichter, starke Persönlichkeiten, es braucht Leute, die eine persönliche Glaubwürdigkeit haben und die Kompetenzen, um die Posten auszufüllen“. Merkel, so könnte man es zusammenfassen, wäre eine gute Kandidatin. Aber das wäre zu kurz gedacht.

Auch Macron weiß, dass die Kanzlerin den Posten nicht im Auge hat. Sie hat keinerlei Ambitionen, von Berlin nach Brüssel zu gehen. Das hat sie schon oft betont, zuletzt vor einigen Wochen, als sie sich in einem Interview ganz grundsätzlich zu ihrem persönlichen Gefühl der Verantwortung für Europa äußerte und der Politikbetrieb prompt zu hyperventilieren begann. Am nächsten Tag erneuerte sie ihr Nein zu einer EU-Karriere, und sie tat das sehr glaubwürdig.

Das alles ist auch Emmanuel Macron bewusst. Es ist deshalb ein vergiftetes Lob, das er der Kanzlerin macht. Was er in Wahrheit sagen will, ist, dass die EU-Kommission an ihrer Spitze jemanden wie die durch hundert Krisen gestählte Merkel brauche – und keinen, der wie der Niederbayer Manfred Weber als Spitzenkandidat der europäischen Volksparteien in die Europawahl gezogen ist und nun das Amt für sich reklamiert. All die schmückenden Eigenschaften, die Macron Merkel attestiert, spricht er Weber indirekt ab.

„Keiner kennt diese Spitzenkandidaten“, sagt Macron. Er benutzt sogar das deutsche Wort und verleiht dem Ganzen einen etwas geringschätzigen Unterton. Das Interview ist letztlich ein weiterer Akt in dem institutionellen Konflikt, der schon vor der Europawahl begonnen hat. Während Macron darauf beharrt, dass die Staats- und Regierungschefs das letzte Wort haben, und sich für die vier Top-Jobs – Kommissionspräsident, Ratspräsident, Außenbeauftragter, Parlamentspräsident – zwei Männer und zwei Frauen wünscht, plädieren etliche Parlamentarier vehement dafür, am Prinzip des Spitzenkandidaten festzuhalten. Noch liegt Manfred Weber recht gut im Rennen. Aber einfacher ist es für ihn jetzt auch nicht geworden, selbst wenn Angela Merkel keine Konkurrenz ist. MARC BEYER

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