Wien – Ernsthaft abgetaucht ist Heinz-Christian Strache, kurz „HC“, nie. Er postet regelmäßig auf seiner Facebook-Seite – sie zählt 800 000 Follower – Kommentare zum innenpolitischen Geschehen. Nun ist für den Ex-Vizekanzler sogar erneut ein offizielles Amt zum Greifen nah. 44 750 Vorzugsstimmen verschafften ihm bei der EU-Wahl ein Direktmandat im EU-Parlament. Der Hauptprotagonist jenes Videos, das in Österreich zum Regierungsbruch geführt hat, dürfte bald ins Rampenlicht zurückkehren.
Formal steht dem ehemaligen FPÖ-Chef das hochdotierte Mandat (8000 Euro Grundgehalt, 4454 Euro Spesenpauschale) zu. Nur wenn er bis zum 2. Juli von sich aus darauf verzichtet, ginge an seiner Stelle ein anderer Freiheitlicher nach Brüssel.
„Es macht zunehmend den Eindruck, als wolle Strache das Amt des EU-Abgeordneten annehmen“, erklärt Politikwissenschaftler und ORF-Politkommentator Peter Filzmaier. Es geht wohl nur noch darum, ob „HC“ als Teil der österreichischen FPÖ-Delegation oder als freier Abgeordneter ins EU-Parlament einziehen wird. Variante Nummer eins wäre für den Ex-Parteichef attraktiver. Als Mitglied einer rechten Fraktion hätte er viel mehr Gestaltungsspielraum. Die Symbolwirkung nach außen wäre beträchtlich. Doch genau davor warnen hochrangige FPÖ-Funktionäre mit Blick auf die Nationalratswahl am 29. September. „Im bevorstehenden Wahlkampf kann die Partei Strache als Thema nicht brauchen“, sagt Filzmaier. Er hält für wahrscheinlich, dass es im Herbst erneut zu schwarz-blauen Koalitionsverhandlungen kommt. Belastend für Strache wirkt sich zudem aus, dass die Wirtschafts- und Korruptionstaatsanwaltschaft nun nach Medienberichten Ermittlungen aufgenommen hat. Der Verdacht lautet auf Untreue, es geht um getarnte Parteispenden. All das flog auf durch das im Jahr 2017 heimlich gedrehte Ibiza-Video. Auch gegen weitere FPÖ-Politiker wird jetzt ermittelt.
Strache selbst sieht sich nicht als Risikofaktor. Im Gegenteil. „Der Souverän hat direkt-demokratisch entschieden“, verkündet er. Geben ihm seine Vorzugsstimmen (gibt es in Österreich, in Deutschland nicht) Recht? Pro forma ja. Dennoch identifiziert Wissenschaftler Filzmaier bei Straches Darlegung zwei „Logik-Probleme“: „Nach der Veröffentlichung der Ibiza-Sequenzen hat Strache alle politischen Ämter und Parteifunktionen zurückgelegt. Wie will er der Bevölkerung nun erklären, dass er sich selbst die Kompetenz für ein Amt in Österreich abspricht“, dafür aber in Brüssel mitmachen will?
Zudem halte der FPÖ-Mann mit einer Tatsache weitgehend hinter dem Berg: So seien es vor allem die Identitären gewesen, die im Vorfeld der EU-Wahl massiv für Straches Direktmandat im Internet mobilisiert hätten. Eine heikle Sache – denn nach dem Attentat in Christchurch (Neuseeland) war bekannt geworden, dass der Täter mit den österreichischen Identitären Kontakt gehabt hatte. Der Verein wiederum ist eng verflochten mit der FPÖ. Um die Koalition mit ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz nicht zu gefährden, musste sich Strache damals von den Identitären öffentlich distanzieren. Auch ein Verbot zog er in Betracht. Und nun haben ausgerechnet sie seinen politischen Untergang verhindert.
FPÖ-Sprecher reagieren verhalten auf die Widersprüche rund um Straches EU-Mandat. Stattdessen wird psychologisiert. So erklärte der designierte Parteichef Norbert Hofer: „HC soll die freiheitliche Familie nicht verlassen.“ Schließlich könne er es nicht verantworten, jenen Mann, der „die Partei aus Schutt und Asche aufgebaut hat“, fallen zu lassen. Hofer spielt darauf an, dass dem dreifachen Vater Strache durch die Ibiza-Causa auch der finanzielle Ruin drohe. Eine Erzählung, die in FPÖ-nahen Medien populär geworden ist. Es wird argumentiert, dass der gelernte Zahntechniker in seinem alten Beruf nicht mehr Fuß fassen kann.
Für Strache gibt es sogar mehrere Optionen. Neben dem EU-Job hat sich für ihn an seinem 50. Geburtstag, den er am Mittwoch gefeiert hat, eine weitere Perspektive eröffnet: In einem Interview brachte FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker seinen ehemaligen Chef als Spitzenkandidat für die kommende Wahl in Wien ins Spiel.