Schnappt sich die AfD „Görliwood“?

von Redaktion

Filmstars schreiben einen besorgten Brief, die Linkspartei wirbt für die CDU. Im sächsischen Görlitz passiert Seltsames. Grund ist die OB-Wahl am Sonntag, bei der erstmals ein AfD-Mann gewinnen könnte.

VON MARCUS MÄCKLER

München – Kürzlich meldete sich mal wieder Hollywood – aber anders als sonst, ernster. Regisseur und Oscar-Preisträger Stephen Daldry („Der Vorleser“), Schauspieler Daniel Brühl und gut 30 andere Kulturschaffende schrieben den Menschen in Görlitz einen Brief. „Gebt Euch nicht Hass und Feindseligkeit, Zwietracht und Ausgrenzung hin“, stand da. „Bitte wählt weise.“

Görlitz, 57 000 Einwohner, ist die östlichste Stadt des Landes, manche sagen: auch die schönste. Die makellosen Barock- und Gründerzeitfassaden haben die Filmindustrie angelockt, auch Hollywood dreht hier gerne – vorzugsweise Filme, die in der Nazizeit spielen. Die Stadt nennt sich, halb im Spaß, halb im Ernst, Görliwood. Auch die Filmstars kommen gerne. Im Brief klingt aber an, dass sich das ändern könnte.

An diesem Sonntag wählen die Görlitzer einen neuen Oberbürgermeister und es ist nicht ausgeschlossen, dass mit Sebastian Wippel ein AfD-Mann das Rennen macht. Die erste Wahlrunde Ende Mai gewann er mit 36,4 Prozent. Jetzt tritt er in der Stichwahl gegen Octavian Ursu von der CDU an, der auf 30,3 Prozent kam. Gewänne Wippel, wäre er der erste AfD-Oberbürgermeister Deutschlands.

Das bringt nicht nur die Film- und Kulturszene in Wallung, es führt auch zu bemerkenswerten politischen Opfern. Nach der ersten Wahlrunde stiegen Jana Lübeck (Linke) und Franziska Schubert (Grüne) aus dem OB-Rennen aus. Schubert, die 28 Prozent geholt hatte, rief die Görlitzer auf, „für Weltoffenheit“ zu stimmen, heißt: für Ursu. Das tat auch die Linke. Man müsse die „Machtergreifung“ der AfD verhindern, ließ der Kreisverband verlauten. Dafür sei man bereit, „Undenkbares“ zu tun: CDU wählen.

Vieles spricht dafür, dass Ursu, 51, gebürtiger Rumäne und gelernter Musiker, das Rennen macht. Aber die Anti-AfD-Front birgt auch ein Risiko: „In Ostdeutschland reagiert man tendenziell allergisch auf Ratschläge von außen“, sagt der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer. „Dann setzt der Trotz ein – nicht nur in Einzelfällen.“ Vorländer nennt das den ostdeutschen Eigensinn. Er könnte dem AfD-Mann in die Karten spielen.

Wippel ist 36, gebürtiger Görlitzer und sitzt wie sein Kontrahent Ursu im Landtag. Vor drei Jahren fiel er bundesweit durch eine Rede auf, in der er anderen Politikern indirekt einen Terroranschlag an den Hals wünschte. Trotzdem gilt er nicht als radikal, den Wahlkampf in Görlitz bestritt er, in Ton und Form vergleichsweise gemäßigt, mit den Themen Familie, Wirtschaft und Sicherheit. Hier trauen viele dem Polizeikommissar Kompetenz zu.

Das Thema zieht besonders, denn seit die Grenzen zum ehemaligen Ostteil der Stadt, dem heute polnischen Zgorzelec, offen sind, haben die Einbrüche massiv zugenommen. Dass der Freistaat Sachsen zugleich jahrelang an der Polizei sparte, stärkte den Eindruck, den Staat interessierten die Görlitzer Probleme nicht. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat zwar längst umgesteuert, aber die Wähler sind nachtragend.

Nachtragend genug, um der AfD ihren ersten OB-Posten zu verschaffen? „Die Ostdeutschen haben ein sehr volatiles Wahlverhalten“, sagt Politologe Vorländer. Außerdem sei die AfD hier „sehr verwurzelt“. Vorländer sieht die CDU am Ende trotzdem vorn. Doch selbst ein starker zweiter Platz für Wippel ist ein halber Sieg für die AfD.

Denn die hofft auf Rückenwind für 1. September, wenn die Sachsen einen neuen Landtag wählen. Eine „Insa“-Umfrage sieht die Partei derzeit vor der CDU. AfD-Landeschef Jörg Urban träumt schon von Größerem: „Wir werden stärkste Kraft und stellen die Regierung.“ Dabei müsste allerdings die CDU mitmachen, was sie partout nicht will.

Auch Wippel will wieder in den Landtag, sollte er bei der OB-Wahl den Kürzeren ziehen. Er hätte dann den Nimbus desjenigen, der nur von einer Allianz der „Etablierten“ verhindert werden konnte. Einen könnte das besonders treffen: Michael Kretschmer. Görlitz ist sein Wahlkreis. Schon bei der Bundestagswahl verlor er sein Direktmandat an die AfD.

Die Nervosität ist groß. Kretschmer warnte in der „Thüringer Allgemeinen“ zuletzt sogar: „Viele Menschen unterschätzen die Radikalität der AfD.“ Die Stadt brauche einen zum Konsens fähigen Bürgermeister. „Görlitz hat große Chancen, die AfD wird sie niemals nutzen.“

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