München – Am Sonntagvormittag sitzt Theo Waigel an einem Wirtshaustisch, vor sich ein Weißbierglas, und er hat dringend etwas loszuwerden. „Eine Schnapsidee“ sei diese Sache mit der Urwahl, sagt Waigel mit funkelnden Augen. „Dann kann ich auch den Trainer von Bayern München mit Mitgliederentscheid wählen.“ Er könne davon nur „dringend abraten“.
Der CSU-Ehrenvorsitzende bügelt in einer Stammtisch-Sendung des BR den Vorschlag des anderen Ehrenvorsitzenden Edmund Stoiber ab, den Kanzlerkandidaten der Union per Urwahl zu küren. Stoiber hatte im Interview mit unserer Zeitung argumentiert, damit werde die Legitimation des nächsten Kandidaten gestärkt, auch werde die Parteibasis dann besser beteiligt. Waigel warnt, wenn die Unionsparteien parallel ihre Mitglieder befragen würden, werde die CSU am Ende nur eine Art Landesverband der CDU.
Dass die beiden Ehrenvorsitzenden unterschiedlicher Meinung sind und sich das über Medien schroff mitteilen, ist eine Art Naturgesetz in der CSU. In diesem Fall stellt sich die Parteispitze aber hinter Waigel. Generalsekretär Markus Blume teilt im Auftrag seines Parteichefs Markus Söder mit, der Kanzlerkandidat werde immer gemeinschaftlich von den Parteien und deren Vorsitzenden vorgeschlagen. „Das Verfahren der Urwahl ist für dieses gemeinschaftliche Vorgehen nicht geeignet.“
Auch aus der CDU kommt Protest gegen Stoibers Vorstoß. Von einer „Selbstbeschäftigungsdebatte“ spricht Parteivize Thomas Strobl in der „Bild“. Er erinnert an eine CDU-Urwahl in seiner Heimat Baden-Württemberg, bei der sich ein Kandidat durchgesetzt hatte, der später haushoch gegen die Grünen verlor. Man habe da „Erfahrungen, und zwar keine guten“.
Die CSU hat an der Spitze mit der Urwahl noch keine Erfahrung. Einmal war das im Gespräch: Im November 2017 sprach die oberbayerische Bezirksvorsitzende Ilse Aigner über diese Option, um einen Spitzenkandidaten als Nachfolger für Horst Seehofer zu bestimmen. Sie wäre zu dieser Urwahl dann wohl selbst angetreten. Binnen kurzer Zeit meldeten sich allerdings auch hier Vertraute von Söder zu Wort, um den Vorschlag einzukassieren. Von „politischem Leichtmatrosentum“ sprach der damalige Kultusminister Ludwig Spaenle, was sein Verhältnis zu Aigner weiter abkühlte.
Diesmal kommt allerdings hinzu, dass auch die anderen größeren Parteien über eine Urwahl reden, auch hier stets mit einem Anstoß aus Bayern. In der SPD sollen mit diesem Modell ein oder zwei Parteivorsitzende gefunden werden, das schlägt zumindest die stellvertretende Vorsitzende Natascha Kohnen vor. Sie ist mit einer Urwahl im Mai 2017 selbst SPD-Chefin in Bayern geworden. Parteiintern, gerade in der Bundestagsfraktion, gilt das als sehr wahrscheinliches Szenario.
Bei den Grünen wirbt Landtagsfraktionschef Ludwig Hartmann für eine Urwahl eines Kanzlerkandidaten. „Dieser basisdemokratische Prozess und grüne Inhalte sind wichtiger als Anzahl oder Geschlecht der Kandidierenden“, sagte er der „FAS“. Bei einer Urwahl gehe es dann nicht nur darum, wer einen guten Wahlkampf mache, „sondern wer das Amt des Kanzlers ausfüllen kann“.
Wer an der Basis die Nase vorn hätte, ist in allen Parteien schwer absehbar. Bei der CDU wird oft kolportiert, eine Urwahl gelte als Option, um den auf dem Parteitag knapp unterlegenen Friedrich Merz wieder ins Spiel zu bekommen. Stoiber sagt explizit, ihm gehe es ausschließlich ums Verfahren, nicht um Personen. Der Politikwissenschaftler Thomas Jäger (Universität Köln) betont hingegen im Gespräch mit der „Zeit“, man könne auch in anderen Ländern ein Phänomen häufig erkennen: „Wenn die Basis entscheiden kann, zum Beispiel bei den Vorwahlen in den USA oder bei den Tories in Großbritannien, dann kommen gewöhnlich eher die Kandidaten ans Ruder, die nicht so sehr in der Mitte vermittelbar sind, sondern in der Partei selbst.“