Istanbul wählt – noch mal. Und es ist gut möglich, dass dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Sonntag eine dicke Blamage bevorsteht. Sollte der Oppositionskandidat Ekrem Imamoglu erneut gewinnen – und laut Umfragen stehen die Chancen gut –, wäre die von Ankara erzwungene Wiederholung der Bürgermeisterwahl umsonst gewesen. Mit anderen Worten: Erdogan hätte sich vor den Augen der Welt verzockt.
Das wäre ärgerlich für ihn, aber gut für die Türkei. Immerhin geht es nicht mehr nur um ein Bürgermeisteramt, sondern auch um die Frage, wie frei die Wahlen im Nato-Partnerland eigentlich sind. Die Begründung für die Neuwahl in der Millionenmetropole war abenteuerlich und wirkte, kurz nach Amtsantritt des Gewinners, wie von Erdogan bestellt. Manche sahen die Türkei schon am Rande einer Verfassungskrise. Wahr ist in jedem Fall: Ein Staat, in dem die Opposition zwar mitspielen, aber nie gewinnen darf, kann sich nicht Demokratie nennen.
Was ist eigentlich, wenn das Ergebnis am Sonntag wieder nicht genehm ist? Gewinnt Imamoglu, kann sich Erdogan eine erneute Anfechtung kaum leisten – andererseits geht es eben nicht um irgendein Kaff, sondern um die Regierung der größten und der wirtschaftlich bedeutendsten Stadt des Landes. Was hier passiert, hat Auswirkungen auf das ganze Land. Die Istanbul-Wahl ist ein Test für die türkische Demokratie, vielleicht der letzte.
Marcus.Maeckler@ovb.net