Webers Chancen schwinden

von Redaktion

Die Europawahl mit ihrer überraschend hohen Wahlbeteiligung hätte der EU neuen Schwung geben können. Der erste Gipfel bringt aber Blockade und undurchsichtige Machtkämpfe. Manfred Webers Chancen auf einen Spitzenposten sinken rapide.

VON V. SCHMITT-ROSCHMANN, M. FISCHER UND C. DEUTSCHLÄNDER

Brüssel – Zumindest der scheidende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker konnte dem erfolglosen Ringen um seine Nachfolge einen Scherz abgewinnen. „Ich habe mit großem Vergnügen zur Kenntnis genommen, dass es sehr schwer ist, mich zu ersetzen“, witzelte der 64-jährige Luxemburger am Freitag, zwei Uhr nachts, vor dem EU-Ratsgebäude.

Vier Stunden hatten die Staats- und Regierungschefs bei einem Dinner beraten, wer die Kommission und die übrigen EU-Institutionen in den nächsten Jahren führen soll. Schon bald stand fest: Für keinen der drei Kandidaten der größten Parteienfamilien gibt es eine Mehrheit, auch nicht für den Niederbayern Manfred Weber (CSU).

Die Karten werden jetzt neu gemischt. Der Machtkampf um die fünf EU-Spitzenposten geht in die Verlängerung. Das Endspiel beginnt am 30. Juni um 18 Uhr. Dann wollen die Staats- und Regierungschefs bei einem Sondergipfel so lange verhandeln, bis es ein Ergebnis gibt, mit dem auch das EU-Parlament leben kann. Spätestens am 1. Juli beim Frühstück soll es zum Schwur kommen.

Die Pleite beim Postenpoker war nicht die einzige Enttäuschung dieses ersten Gipfels nach der Europawahl, die der EU eigentlich neuen Schwung geben sollte. Zum ersten Mal seit 40 Jahren war die Wahlbeteiligung wieder gestiegen, die EU-skeptischen Rechtspopulisten wurden weniger stark. Von Aufbruch und Erneuerung war viel die Rede. Aber der EU-Gipfel machte weiter wie immer: in undurchsichtigem und nervenaufreibendem Kleinklein.

Ausgerechnet beim wichtigen Thema Klimaschutz fanden die 28 Mitgliedstaaten nicht zusammen. Umso entschlossener ging der französische Präsident offenbar ins zweite Gefecht. Wer soll die EU in den nächsten fünf Jahren lenken? Für Macron war schon vorher klar: Alle, nur nicht Weber, der seinen Anspruch auf die parteipolitische Auswahl des „Spitzenkandidatenprozesses“ stützt und die Macht in Brüssel klar verschieben will hin zum direkt gewählten Parlament. Macron lehnt das alles ab, die Macht der Parteien, die braven Europapolitiker aus der zweiten Reihe, die Entmachtung des Rats der Staats- und Regierungschefs. Seit Wochen machte der Franzose Front gegen Weber und wurde damit zeitweise größter Gegenspieler Merkels, die schon aus Parteiräson zum Christsozialen hielt.

„Manche Argumente sind schwer nachvollziehbar“, sagt CSU-Chef Markus Söder in Richtung Macron. „Jeder muss wissen: Am Ende braucht Europa eine handlungsfähige Kommission, daher sollten keine allzu tiefen Gräben aufgerissen werden.“ Söder wirbt bis zuletzt für einen „ausgleichenden Charakter wie Manfred Weber an der Spitze“. Der CSU-Chef will jetzt persönlich weitere Gespräche führen. Er räumt auch ein: „Es ist nicht leichter geworden mit den Entscheidungen des EU-Gipfels. Aber noch ist alles möglich.“

Ist es das? Merkel musste zum Ende des Gipfels am Freitagmittag nüchtern feststellen, „dass keiner dieser Spitzenkandidaten eine Mehrheit im Europäischen Rat hat“. Diese Spitzenkandidaten, das sind der Sozialdemokrat Frans Timmermans, die Liberale Margrethe Vestager und eben Weber. Merkel ließ aber noch Interpretationsspielraum, eine Weile rätselten Beobachter, ob sie Weber nun fallen ließ oder nur Abstand gewann. Weber selbst kündigte am Abend an, im Parlament weiter für eine Mehrheit zu werben.

Macron aber hat kein Interesse am Nebulösen und antwortete auf die Frage, ob er eine Chance für Weber ausschließe, mit einem klaren: „Ja“. Er will Tabula rasa, die Suche soll von vorne anfangen, mit neuen Namen. Der nächste Gipfel in neun Tagen dürfte ein ähnlich langatmiges Drama werden.

Europas Wähler stehen womöglich rätselnd vor diesem undurchsichtigen Machtkampf um Positionen. Der einstige Vizepräsident des Europaparlaments, Alexander Graf Lambsdorff, erinnert sichtlich erbost an die internationalen Krisen und die Verantwortung Europas. „Die Welt dreht gerade durch und wir verhaken uns in einer Personaldebatte.“

Seit Wochen macht Macron nun schon Front gegen Weber

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