Imamoglus Sieg, Erdogans Desaster

von Redaktion

Der Oppositionskandidat Ekrem Imamoglu gewinnt die Bürgermeisterwahl in Istanbul zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten. Diesmal ist das Ergebnis überraschend deutlich – und ein klares Signal an den Präsidenten.

VON MIRJAM SCHMITT UND LINDA SAY

Istanbul – Herbe Niederlage für Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Regierungspartei AKP: Der Oppositionskandidat Ekrem Imamoglu hat überraschend klar die Bürgermeisterwahl in Istanbul gewonnen. Imamoglu von der größten Oppositionspartei CHP erhielt am Sonntag nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu und Auszählung fast aller Stimmen rund 54 Prozent. Sein Gegner, der ehemalige Ministerpräsident und AKP-Kandidat Binali Yildirim, kam auf rund 45 Prozent. Der Chef der Hohen Wahlkommission Sadi Güven sagte, die Endergebnisse stünden spätestens am Montag fest.

Erdogan beglückwünschte den vorläufigen Wahlsieger noch am Abend. „Der nationale Wille hat sich heute einmal mehr gezeigt. Ich gratuliere Ekrem Imamoglu, der inoffiziellen Ergebnissen zufolge die Wahl gewonnen hat“, sagte er. AKP-Kandidat Yildirim wünschte seinem Gegner viel Erfolg. Imamoglu sagte vor Anhängern: „Das ist kein Sieg, sondern ein Neuanfang.“ Die Istanbuler hätten den „Ruf der Demokratie verteidigt“.

Imamoglu hatte schon die erste Bürgermeisterwahl am 31. März gewonnen. Die Wahlkommission (YSK) annullierte das Ergebnis jedoch Anfang Mai wegen angeblicher Regelwidrigkeiten und gab damit einem Antrag von Erdogans AKP statt. Die Bedeutung der Wahl ging weit über das Lokale hinaus und wurde international aufmerksam verfolgt. Imamoglu war zum Symbol geworden für die Hoffnung, dass in der Türkei auf demokratischem Weg noch ein Wandel möglich ist. Einige sehen in ihm sogar schon den nächsten Präsidenten.

Der deutsche Europastaatsminister Michael Roth beglückwünschte Imamoglu via Twitter: „Was für ein Mut machendes Signal für eine demokratisch lebendige Türkei!“ Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) sagte: „Istanbul sendet ein unmissverständliches Signal, auch an Präsident Erdogan und seine AKP. Es ist ein Signal von Demokratie und Rechtsstaat, von Pluralität und Vielfalt.“

Für Erdogan, der auf eine Wiederholung der Wahl gedrängt hatte, ist die erneute Niederlage ein Schlag ins Gesicht. Die Millionenmetropole ist der wirtschaftliche Motor des Landes und hat hohe symbolische Bedeutung. 25 Jahre war sie von islamisch-konservativen Bürgermeistern regiert worden, unter anderem von Erdogan selbst.

Die AKP hatte nach ihrer Niederlage Ende März ihre Wahlkampfstrategie geändert. Erdogan, der zuvor überall präsent war und mehrere Wahlkampfreden täglich gehalten hatte, zog sich zurück und trat kaum auf. Stattdessen stand Yildirim im Vordergrund. Die AKP ließ sich sogar das erste Mal seit 17 Jahren auf ein Fernsehduell mit der Opposition ein.

Experten vermuten, dass Erdogan sich aus der Schusslinie nehmen wollte, für den Fall, dass die AKP doch verlieren sollte. Zuletzt attackierte der Präsident Imamoglu aber mehrmals, nannte ihn einen Lügner und warf ihm vor, einen Gouverneur beleidigt zu haben. „Nach der Wahl wirst Du Dich dafür verantworten“ drohte er.

Imamoglu hatte im Wahlkampf mit seiner vermittelnden Art und dem Slogan „Alles wird sehr gut“ gepunktet und ein Zeichen gegen die Polarisierung im Land gesetzt. Nach seinem Sieg ging er auf Erdogan zu und sagte, er wolle ihn bald besuchen. „Ich bin bereit, in Harmonie mit Ihnen zusammenzuarbeiten und verlange danach. Das verkünde ich vor allen Istanbulern.“ Die Istanbuler hätten ihm „eine heilige Aufgabe gegeben“, erklärte er und versprach, sein Amt „mit Leib und Seele“ auszuführen. In Istanbul werde es nun „Gerechtigkeit, Gleichheit, Liebe und Toleranz geben. Verschwendung, Luxus, Arroganz und Diskriminierung werden ein Ende haben.“

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