Es gab eine Zeit, da blickten die Deutschen neidvoll gen Westen. Während in Berlin die ewige Angela Merkel nüchtern vor sich hin regierte, schien in Frankreich mit Emmanuel Macron etwas Neues, viel Aufregenderes zu beginnen. Ein Aufbruch in eine neue Zeit. Der Reformeifer schien nicht an der französischen Grenze aufzuhören – nein, ganz Europa hoffte auf Macrons Schwung.
Spätestens seit vergangenen Freitag ist Macron als Blender enttarnt: Ihm geht es nicht um Europa, sondern vor allem um eigene Interessen. In der Heimat bekommt der Präsident nun viel Beifall dafür, den deutschen Manfred Weber als Chef der EU-Kommission zu verhindern. Der sei nämlich gar kein europäischer Spitzenkandidat gewesen, weil ihn die Franzosen nicht wählen konnten. Dass außer seinen Liberalen aber alle Parteien europaweite Spitzenkandidaten in einem demokratischen Prozess (!) aufgestellt hatten, ist Macron egal. Er will der Union seine Minderheitsmeinung aufzwingen und die Spitzenposten im Hinterzimmer ausmauscheln. Macron will kein Europa der Zukunft, sondern eines der Vergangenheit.
Es stimmt natürlich: Das System mit Spitzenkandidaten, die nur im eigenen Land, in Webers Fall sogar nur in Bayern, auf der Wahlliste stehen, muss verbessert werden. Doch dies erreicht man nicht, indem man es komplett mit Füßen tritt. Besser wäre es, gesamt-europäische Listen einzuführen. Das zerstrittene EU-Parlament sollte die Gefahr für sich als Institution nicht unterschätzen: Wenn es in dieser Woche den Staatschefs nicht klarmacht, auf diesem System zu bestehen, kann es kaum den Anspruch erheben, als Legislative die EU zu prägen.
Mike.Schier@ovb.net