Neue Dramen im Mittelmeer

von Redaktion

Vor Lampedusa spielt sich ein humanitäres Drama ab. Italiens Behörden weigern sich, 42 aus Seenot gerettete Migranten an Land zu lassen. Innenminister Salvini fordert von Deutschland, die Flüchtlinge aufzunehmen. Derweil werden die Tricks der Schlepperbanden immer dreister.

VON INGO-MICHAEL FETH

Rom – Per Video senden die Flüchtlinge an Bord eine verzweifelte Botschaft. In ihren Augen spiegeln sich Angst und Erschöpfung. Seit zwölf Tagen harren sie auf dem deutschen Rettungsschiff „Sea Watch 3“ aus, das sich auf einer langen Irrfahrt zwischen Tunis, Sizilien und Lampedusa befindet. „Wir halten es einfach nicht mehr aus. Das Boot ist eng und wir können uns kaum bewegen. Wir sind alle seekrank“, sagt einer der Afrikaner, die vor der libyschen Küste aus dem Wasser gefischt wurden. „Italien erlaubt uns nicht, an Land zu gehen. Wir bitten alle Menschen auf Erden um Hilfe. Wir sind am Ende unserer Kräfte.“

Der Appell erfolgt 16 Seemeilen vor der Küste der kleinen Insel Lampedusa. Knapp vor der Grenze der italienischen Hoheitsgewässer. Weiter darf das Schiff nicht fahren; es droht sonst die Festsetzung durch die Küstenwache, die Beschlagnahmung des Bootes und ein Strafverfahren gegen Kapitän und Reederei. So sehen die Konsequenzen des umstrittenen Sicherheitsgesetzes aus, das Italiens ultrarechter Innenminister Matteo Salvini durchs Parlament boxte. „Null Toleranz“ lautet die Linie des Lega-Chefs. Egal ob Seenotretter, Handels- oder Militärschiffe: Für Flüchtlinge sind Italiens Häfen geschlossen. Menschenrechtler, Uno und der Vatikan kritisieren die Maßnahmen als unmenschlich und völkerrechtswidrig. Das letzte Wort über das „Salvini-Dekret“ dürfte Italiens Verfassungsgericht sprechen, wo bereits zahlreiche Klagen vorliegen. Ein juristischer Rückschlag kam aus Straßburg: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) kam einem Eilantrag der Seenotretter und Geretteten, in Italien anlegen zu dürfen, gestern nicht nach.

Die unter niederländischer Flagge laufende „Sea Watch“ gehört einer gleichnamigen Organisation in Berlin zur Rettung schiffbrüchiger Migranten im Mittelmeer. Die Vorgehensweise der Retter ist nicht unumstritten. Das Schiff sei mehrmals unerlaubt in Sperrzonen vor der libyschen Küste eingefahren, um Flüchtlinge aufzunehmen, so der Vorwurf der Behörden. Diesmal wollen es die Berliner Aktivisten drauf ankommen lassen. In einem telefonischen Interview mit der römischen Tageszeitung „La Repubblica“ erklärte die deutsche Kapitänin Carola Rackete, notfalls eine Beschlagnahmung des Schiffs in Kauf zu nehmen, um die 42 Menschen an Bord an Land zu bringen. „Ich werde die Sea Watch wohl verlieren, aber ich kann nicht anders handeln.“ Ins Bürgerkriegsland Libyen wolle sie ihre Passagiere auf keinen Fall zurückbringen.

Die EU-Kommission in Brüssel mahnt zu einer raschen Lösung unter den Mitgliedsstaaten. Während der Erzbischof von Turin die Migranten in seinen kirchlichen Einrichtungen aufnehmen will, fordert Salvini, die Flüchtlinge auf Deutschland und die Niederlande zu verteilen. „Andernfalls können die von mir aus bis Weihnachten da draußen bleiben.“ Damit suggeriert er einen Notstand, den es gar nicht mehr gibt: Ganze 173 Gerettete sind 2019 bislang an Italiens Küsten gelangt. Ein winziger Bruchteil gegenüber früheren Jahren.

Die Schleppermafia, der das einträgliche Geschäft mit der Verzweiflung der Migranten abhandenzukommen droht, setzt auf neue Taktiken. Mit einem großen „Mutterschiff“, auf denen bis zu dreihundert Menschen Platz haben, fahren sie bis kurz vor die Hoheitsgewässer. Dort werden die Migranten auf ein Dutzend Miniboote verteilt, mit denen sie selbst an Land gelangen können. Fürs Radar der Küstenwache ist es ungleich schwerer, die kleinen Gummiboote zu entdecken. Das Hauptschiff der Schlepper befindet sich dann schon auf dem Heimweg. Italien fordert nun eine engmaschigere Überwachung der internationalen Gewässer im zentralen Mittelmeer.

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