AfD-Abgeordneter verweigert Lübcke-Gedenken

von Redaktion

Müller beklagt „moralingetränkte Hexenjagd“ – und entschuldigt sich nach heftigen Protesten

München – Es ist kurz nach 13 Uhr, als Ilse Aigner mit klarer Stimme die Sitzung eröffnet. „Ich bitte Sie, sich von den Plätzen zu erheben“, sagt sie in die Runde. Ein kurzes Räuspern und Scharren, nach sechs Sekunden stehen alle im Saal. Abgeordnete, der Ministerpräsident, alle Minister, die Beamten, die Journalisten auf der Pressetribüne, alle Besucher, Landtagspräsidentin Aigner selbst, nur der Stenograf vor dem Rednerpult darf im Sitzen weiterarbeiten.

Und in Reihe 1 der AfD-Fraktion bleibt einer sitzen, blättert weiter in den Unterlagen. Während sich Bayerns Parlament zu einer Gedenkminute für den ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erhebt, zeigt der AfD-Abgeordnete Ralph Müller demonstrativ sein Desinteresse. Ein Eklat, wie er selbst unter AfD-Beteiligung in Parlamenten selten vorkommt.

Aigner spricht drei Minuten lang über den Mord, wohl ausgeübt von einem Rechtsextremen. Sie bittet um einen pfleglichen Umgang in der politischen Debatte. „Wo die Sprache verroht, ist die Straftat nicht weit“, zitiert sie den Bundespräsidenten. Müller sitzt und blättert.

Die Szene erinnert an das Holocaust-Gedenken im Januar, als Teile der AfD den Sitzungssaal verließen, weil die Partei in einer Rede scharf attackiert wurde. Heute wie damals war es aber nicht die gesamte Fraktion. Müller ist diesmal sogar völlig allein. Alle AfD-Abgeordneten hinter ihm erheben sich. Seine Ausrede: Er sei so in die Unterlagen vertieft gewesen, habe an einer Rede gefeilt. Nun ja: Aigners Worte, die folgende Stille im Landtag – das kann man kaum verpassen. Zumal sich Müller sofort erhebt, als nach Lübcke dann verstorbener ehemaliger Landtagsabgeordneter gedacht wird.

„Widerwärtig und menschenverachtend“ nennt der Freie-Wähler-Fraktionsmanager Fabian Mehring den Vorfall, ähnlich SPD und Grüne. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) rügt Müllers Verhalten als „ehrverletzend, respektlos und beispiellosen Fehltritt“. Landtagspräsidentin Aigner knöpft sich in einer Sitzungspause den Abgeordneten persönlich vor. „Das geht so nicht“, vernehmen Umstehende. Ob Absicht oder nicht, man entschuldige sich für Fehler.

In Müller scheint das nur langsam einzusickern, es bedarf auch eines Gesprächs mit Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner. Erst spricht er von einer „moralingetränkten Hexenjagd“. Später erst entschuldigt er sich „ausdrücklich für dieses Verhalten, dass ich da gegebenenfalls zu lange sitzen geblieben bin“. Seine Einstellung „zu einem solchen Mord“ sei klar: „Wir lehnen ein solches politisches Mittel selbstverständlich ab.“

Das politische Mittel Mord? Auch diese Erklärung wirft Fragen auf. Ohnehin hat Müller im Landtag einen Ruf, es ist kein guter. Der Zahnarzt aus dem Fränkischen, 53, fällt mit schnarrenden Zwischenrufen an der Grenze des guten Geschmacks auf. Als erster Abgeordneter seit 25 Jahren fing er sich im Februar eine offizielle Rüge der Landtagspräsidentin ein. Zum Schweigen brachte ihn neulich erst Söder mit einer scharfen Replik auf einen der vielen Zwischenrufe: „Ein Einstecktuch macht noch keine guten Manieren.“

In der AfD-Fraktion dürfte der Fall die Stimmung weiter anheizen. FDP-Fraktionschef Martin Hagen fordert trotz Entschuldigung Konsequenzen in der AfD: „Expliziter kann man seine Gesinnung wohl kaum zur Schau tragen. Wer Lübcke die letzte Ehre verweigert, macht sich mit seinem Mörder gemein.“  cd

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