Berlin/München – An Pressekonferenzen herrscht im Bundestag wenig Mangel, alle paar Minuten läuft irgendwo eine. Das Interesse verteilt sich. Heute, 9 Uhr, Raum JKH 2.732, dürfte die Neugier allerdings etwas höher sein. In Berlin stellt die AfD-Fraktion ihr neues verteidigungspolitisches Grundsatzpapier vor. Es ist eine drastische Abrechnung – und setzt den Kurs fort, sich möglichst nahe an Interessen und Sorgen der Soldaten zu positionieren.
In der Union wird man den Auftritt mit Stirnrunzeln verfolgen. Neulich machte ihr früherer Fraktionschef Friedrich Merz eine Debatte öffentlich, die leise seit Monaten in CDU und CSU geführt wird: Viele Soldaten und Polizisten des Bundes, die mit der Sicherheits- und Grenzpolitik der Union massiv hadern, tendieren zur AfD.
Das Papier, das unserer Zeitung vorab vorliegt, zeigt: Die AfD will sich noch mehr als Partei der Bundeswehr positionieren. In scharfen Worten kritisieren die Verteidigungspolitiker die Unterfinanzierung. „Die Bundeswehr ist als Ganzes nicht einsatzbereit.“ Diesen „Verfassungsbruch“ verantworte die Politik „der letzten Jahrzehnte, die Deutschlands Streitkräfte bis zur Unkenntlichkeit geschrumpft und entkernt hat“. Die Deutschen müssten sich mehr um ihre Truppe kümmern, mahnt die AfD in ihren Worten: „Die äußere Sicherheit unseres Landes muss einen herausgehobenen Stellenwert im Bewusstsein des deutschen Volkes erlangen.“
Man wolle die Probleme ansprechen, „die von den politisch Verantwortlichen aus Desinteresse oder mangelnder Fachkenntnis zu lange ausgeblendet worden sind“, sagt der oberbayerische Abgeordnete Gerold Otten, selbst Oberst der Reserve. „Uns geht es um eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Bedeutung von Streitkräften.“
In ihrem Positionspapier gehen die Autoren von einem über Jahrzehnte dauernden Wiederaufbau der Bundeswehr aus. „Deutschlands militärpolitische Rekonstitution wird enorme Anstrengungen verlangen.“ Ein Kernelement ist die Rückkehr zur Wehrpflicht für alle Männer ab 18 (Frauen nur freiwillig). So könne die Bundeswehr ihre Personalsorgen decken. Und: „Mit dem Wehrdienst wird auch der Wehrwille des deutschen Volkes gestärkt.“ Ersatzdienst soll die Ausnahme sein und „nicht der personellen Bedarfsdeckung“ der Blaulichtorganisationen dienen. Zielmarke sind 230 000 Soldaten (aktuell 180 000). Ein Reservistenkorps mit weiteren 50 000 Mann soll Polizei und Grenzschutz unterstützen. Die AfD setzt auf die Nato – keine parallelen Bündnisstrukturen – und verlangt darin eine deutsche Führungsrolle. Ziel sei auch eine Nato-Entspannungspolitik gegenüber Russland.
Die AfD wählt eine martialische Sprache. „Befähigung und Wille zum unerbittlichen Kampf“ gehörten ins Zentrum der Ausbildung, es gelte der Grundsatz „Schweiß spart Blut“. Sie müssten gleichwohl „auf Verwundung und Tod“ vorbereitet werden. Die „Tugenden des Soldaten“ seien „Ehre, Treue, Kameradschaft und Tapferkeit“.
Otten spricht von einem „Anstoß zu einer breiten gesellschaftlichen Diskussion“, detaillierte Positionspapiere sollen folgen. Ganz allein steht die AfD da icht. Auch die CSU-Spitze hatte sich jüngst bei einem Treffen mit Soldaten zu einem klareren Kurs pro Bundeswehr bekannt; statt der Wehrpflicht soll es aber bloß Praktika geben.
Die CDU führt derweil die Debatte um Merz’ Äußerungen weiter. Am Mittwoch schaltete sich sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel ein. Sie ging allerdings nicht auf das Wahlverhalten ein, das Merz meinte – sondern auf die Frage, ob es rechtsextreme Tendenzen bei Soldaten gebe. Dem werde „entschieden“ nachgegangen: „Insoweit teile ich die Aussage nicht.“