El Paso – Das Foto, das seit Dienstag über die US-Medien verbreitet wird, ist nur schwer erträglich anzusehen. Es erinnert im ersten Moment an eine der Flüchtlings-Tragödien im Mittelmeer. Für die Menschen in den USA wird die Migranten-Debatte mit der Aufnahme plötzlich hautnah realistisch – und viel dramatischer als die Diskussion um die Versorgung und Unterbringung von wöchentlich tausenden Neuankömmlingen.
Das Foto, entstanden am Ufer des Rio Grande auf mexikanischer Seite südwestlich von Texas, zeigt die angespülten und bäuchlings im Wasser treibenden Leichen von Oscar Alberto Ramirez und seiner 23 Monate alten Tochter Valeria. Das Mädchen hatte – wohl unmittelbar vor ihrem Tod durch Ertrinken – noch einen Arm unter dem T-Shirt ihres Vaters um seinen Hals gelegt. So fanden Polizisten in Mexiko die beiden. Julia Le Duc, eine Reporterin für die mexikanische Zeitung „La Jornada“, hielt die erschütternde Szene nahe der Stadt Matamoros fest, bevor die beiden geborgen wurden.
Der aus El Salvador stammende Ramirez hatte zusammen mit seiner Frau Tania und der Tochter seit Tagen versucht, am Grenzübergang Brownsville einen offiziellen Asylantrag für die USA zu stellen. Doch neue Richtlinien der Regierung Trump sehen vor, dass pro Tag lediglich einer kleinen Zahl von Antragstellern erlaubt wird, aus Mexiko kommend an der Grenzstation vorstellig zu werden. Ramirez und seine Familie waren Berichten zufolge mehrfach in Brownsville abgewiesen worden – also suchten sie am Sonntag ihr Heil in der Flussdurchquerung. Doch der Rio Grande führt zu dieser Zeit mehr Wasser als gewöhnlich, und die Strömung kann für unerfahrene Schwimmer lebensgefährlich sein.
Zunächst schien es, so berichteten Angehörige von Oscar Ramirez später, als würde der Vater diese Herausforderung meistern können. Er schwamm, seine Tochter über Wasser haltend, von der mexikanischen Seite zum US-Ufer. Als er dann wieder ins Wasser ging, um auch seiner Frau durch den Fluss zu helfen, sprang ihm die kleine Valeria nach und versuchte, zu ihm zu kommen. Beide wurden in den Fluten abgetrieben – und der Vater muss in seiner Verzweiflung versucht haben, Valeria in sein T-Shirt zu stecken, um ihr zu helfen. „Als er nicht mehr schwimmen konnte, hat er sich wohl entschieden, zusammen mit ihr zu sterben“, zitieren mexikanische und amerikanische Medien Rosa Ramirez, die Mutter von Oscar. Seine Frau musste am Ufer hilflos mit ansehen, wie beide langsam im Wasser verschwanden. Ihre leblosen Körper wurden einen Tag später von Helfern hunderte Meter entfernt am Ufer gefunden.
In Washington haben sich seit diesem Drama die Schuldzuweisungen an das Weiße Haus wegen des Umgangs mit Migranten verschärft. Das Foto zeige die menschlichen Kosten der Einwanderungskrise, kommentierte der Sender CNN. Präsident Donald Trump sagte, er sei „bewegt“, machte jedoch die Demokraten für die Zustände an der Grenze verantwortlich
Der kommissarische Chef der US-Grenzschutzbehörde, John Sanders, kündigte nach nur zwei Monaten seinen Rücktritt an. Er werde den Posten am 5. Juli niederlegen. Einen Grund nannte Sanders nicht. Die Behörde war wegen besorgniserregender Zustände in einem US-Grenzlager für Migrantenkinder stark kritisiert worden. Die Tätigkeit für die Grenzschutzbehörde sei die „erfüllendste“ Aufgabe seiner Karriere gewesen, schrieb er an seine Mitarbeiter. FRIEDEMANN DIEDERICHS