Karlsruhe – Nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat der dringend tatverdächtige Stephan E. am Dienstag sein Geständnis widerrufen. Der Dresdner Anwalt von E., Frank Hannig, hatte der „Bild“-Zeitung den Widerruf bestätigt. Er hatte dem Blatt gesagt: „Mein Mandant hat heute sein Geständnis widerrufen. Mehr werde ich dazu im Moment nicht sagen.“ Nach einem Verteidigerwechsel sei er als Pflichtverteidiger durch den Bundesgerichtshof (BGH) beigeordnet worden.
Die zuständige Staatsanwaltschaft wollte Berichte über einen Widerruf des Geständnisses nicht kommentieren. Auch der Südwest-Rundfunk (SWR) hatte unter Berufung auf Ermittlerkreise berichtet. Dem SWR zufolge ist der Widerruf eher taktischer Natur. Die ursprünglichen Einlassungen des 45-Jährigen seien so detailreich gewesen, „dass durch den Widerruf keine Auswirkungen auf die weiteren Ermittlungen zu erwarten seien“.
Ein widerrufenes Geständnis sei grundsätzlich in einer späteren Hauptverhandlung verwertbar, sagte dazu Ali Norouzi, stellvertretender Vorsitzender des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins (DAV). So könnten etwa die Vernehmungsbeamten als Zeugen zu dem gehört werden, was im Rahmen eines Geständnisses erzählt worden sei.
Die Bundesanwaltschaft hatte erst am Dienstagmorgen einen Haftbefehl gegen E. bei den Ermittlungsrichtern des BGH erwirkt. Bei der Anhörung soll er dann von seinem Geständnis zurückgetreten sein. E. wird beschuldigt, Lübcke Anfang Juni erschossen zu haben, und hatte dies Ende Juni auch eingeräumt.
Der neue Haftbefehl vom Dienstag ersetzte den des Amtsgerichts in Kassel, der Mitte Juni ergangen. Er war aus formalen Gründen nötig, weil die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen inzwischen übernommen hatte. Stephan E. sitzt bereits seit Mitte Juni in Untersuchungshaft. Am Dienstagmorgen war er dann mit dem Hubschrauber nach Karlsruhe gebracht und am BGH vorgeführt worden.
Der 45-jährige Tatverdächtige ist mehrfach vorbestraft, war in früheren Jahren durch Kontakte in die rechtsextreme Szene aufgefallen und soll dort gut vernetzt sein. Sein früheres Geständnis hatte zu zwei weiteren Festnahmen geführt: Gefasst wurden der mutmaßliche Lieferant der Tatwaffe und der Kontaktmann. Elmar J. soll E. die spätere Waffe verkauft und Markus H. den Kontakt vermittelt haben.
Beiden wird von der Bundesanwaltschaft Beihilfe zum Mord vorgeworfen, entsprechende Haftbefehle waren Ende Juni erlassen worden. Anhaltspunkte dafür, dass die beiden gemeinsam mit E. eine rechtsterroristische Vereinigung gebildet hätten, sieht die oberste Anklagebehörde bisher nicht.
Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war Anfang Juni auf der Terrasse seines Hauses mit einem Kopfschuss getötet worden. Der CDU-Politiker hatte in der Vergangenheit wegen seiner Haltung zu Flüchtlingen Morddrohungen erhalten. Auf einer Diskussionsveranstaltung zum Bau einer Asylbewerber-Einrichtung im Jahr 2015, auf der Lübcke massiv angefeindet worden war, war laut Medienberichten auch Stephan E. anwesend. Ein Video von der Versammlung, das schon 2015 im Internet kursierte, fand 2019 wieder Verbreitung und ließ den Hass erneut aufflammen. Lübckes Tod hatte die Debatte um den Umgang mit rechtsextremer Gewalt in Deutschland erneut angefacht. dpa/sr