Eine explosive Affäre

von Redaktion

Die nächste Krise am Bosporus: Die Türkei will ein russisches Waffensystem einsetzen, das die USA für ein Risiko halten. Washington droht mit Sanktionen. Kann der Streit auch die Nato schwächen?

VON MAREN HENNEMUTH UND CARSTEN HOFFMANN

Ankara/Moskau/Washington – Ein Konflikt zwischen der Türkei und den USA steuert auf seinen Höhepunkt zu: Die ersten Lieferungen des russischen Raketenabwehrsystems S-400 sind am Freitag in Ankara angekommen. Damit drohen der Türkei US-Sanktionen, die der ohnehin fragilen Wirtschaft einen weiteren Schlag versetzen könnten. Manche halten wegen des Streits der beiden Nato-Partner gar eine Erosion der Allianz für möglich. Sie merken an, dass es Russland mit dem Deal gelinge, einen Keil in die Nato zu treiben.

Wieso ist die Türkei so scharf auf den Deal?

Die Türkei betont, sie brauche eine eigene Raketenabwehr – gegen Bedrohungen aus dem Nachbarland Syrien, aber auch aus dem Inneren. Seit dem Putschversuch von 2016 ist sie extrem auf Sicherheit fokussiert. Verhandlungen mit den USA über den Kauf von Patriot-Raketenabwehrsystemen liefen ins Leere. Es sind im Rahmen der gemeinsamen Nato-Luftabwehr weiter italienische und spanische Patriots in der Türkei stationiert – die Regierung argumentiert aber, dass die nur 30 Prozent des Luftraums schützten.

Und Russland?

Russland will vor allem seine Position als Waffen- und Rüstungsexporteur ausbauen. Einen Kunden aus den Reihen der Nato zu gewinnen, ist ein Durchbruch für den staatlichen Rüstungskonzern Almas-Antej. Unter Nato-Ländern hatten die USA bisher ein Monopol.

Welche Sanktionen wollen die USA verhängen?

Es sind unterschiedliche Strafen im Gespräch. Zum einen will das Pentagon die Türkei aus dem F-35-Programm werfen. Ende Juli soll es so weit sein, erste Schritte sind getan. Außerdem könnte der S-400-Deal Sanktionen nach dem CAATSA-Gesetz auslösen, das auf Geschäfte mit dem russischen Rüstungssektor abzielt. Zum Beispiel Verbote zu Immobilientransaktionen und Exportlizenzbeschränkungen.

US-Präsident Trump hätte nach dem Gesetz die Möglichkeit, die Sanktionen per Erlass auf Eis zu legen. Ob er das tun wird, ist unklar. Nach einem Gespräch mit Erdogan am Rande des G20-Gipfels sagte er, seine Vorgänger hätten der Türkei das Patriot-System verweigert. Erdogan sei unfair behandelt worden.

Von der Nato hört man dazu nicht viel – wieso ist das so?

Grundsätzlich gilt, dass jedes Nato-Land selbst entscheiden kann, welche Ausrüstung es kauft. Zugleich wird der Konflikt in der Nato als bilaterale Angelegenheit gesehen. Der Streit soll nicht ins Bündnis hineingetragen werden. Dennoch äußerte sich Generalsekretär Jens Stoltenberg mehrfach besorgt.

Was ist die S-400 genau?

Die S-400 ist ein mobiles Luftabwehrsystem, das Flugzeuge, Geschosse und andere Objekte aus dem Himmel schießen kann. Die russischen Streitkräfte hatten es 2007 in Betrieb genommen. Es zündet Kurz-, Mittel- und Langstrecken-Raketen, die Ziele in größerer Entfernung und Höhe zerstören können als das amerikanische Patriot-System, heißt es nach russischen Angaben und auch in internationalen Fachmagazinen wie „Defence IQ“. Außerdem kostet das System erheblich weniger.

Sind denn die Sorgen der USA gerechtfertigt? Wäre der F-35-Bomber gefährdet – und damit ein Teil der Sicherheit der Nato?

Ja, sagen die USA. Nein, sagt die Türkei. Der Militärtechnik-Experte Sebastien Roblin schrieb für „The National Interest“ 2018: Wenn die Türkei die Raketenabwehr S-400 und die F-35-Kampfjets gemeinsam betriebe, könnten die S-400 am Boden regulär Daten über die Jets im Luftraum erheben – zum Beispiel, wann der Tarnkappenjet auf dem Radar sichtbar wird. Die Türkei würde die Daten möglicherweise gar nicht mit Russland teilen wollen. „Allerdings erscheint es möglich, dass die hochvernetzten Computer der Geschütze Hintertüren haben, die dem russischen Militär Zugang gewähren.“

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