Von der Leyen im Brüsseler Labyrinth

von Redaktion

Am Dienstag entscheiden die Europa-Abgeordneten über die Zukunft Ursula von der Leyens. Tritt die CDU-Politikerin bald das mächtigste EU-Amt an? Und warum ist der Weg dorthin so steinig?

VON MICHEL WINDE

Brüssel – Unermüdlich kämpft Ursula von der Leyen dieser Tage in Brüssel. Fast täglich versucht die CDU-Politikerin, die Abgeordneten des Europaparlaments von sich zu überzeugen. Am Ende dieser Woche stehen dennoch zwei Absagen. Zwei weitere Fraktionen halten sich ihre Zustimmung offen. Folgt die Verteidigungsministerin am 1. November dem Luxemburger Jean-Claude Juncker an der Spitze der mächtigen EU-Kommission?

Die nötige Mehrheit im Europaparlament ist ihr längst nicht sicher. „Das kann ganz schön knapp werden“, sagt der EU-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, Nicolai von Ondarza. Dabei hat von der Leyen bereits bei fast allen Fraktionen für sich geworben. Sie hat Entgegenkommen beim Klimaschutz gezeigt und einen Mindestlohn in jedem EU-Staat in Aussicht gestellt. Sie hat mehr Demokratie in der EU versprochen und auf Geschlechter-Parität in der Kommission gepocht. Und doch fällen gerade Linke und Grüne ein vernichtendes Urteil: „Es war ein schlechter Tag für ihre Kandidatur“, sagt Sven Giegold von den Grünen. Die Linken-Politikerin Özlem Alev Demirel nennt den Auftritt „mehr als ernüchternd“.

Aber ist es überhaupt realistisch, Abgeordnete vom ganz linken bis zum weit rechten Spektrum hinter sich zu versammeln? Von der Leyen hat versucht, auf Tuchfühlung mit den Parlamentariern zu gehen. Den Großteil der Woche hat sie im Labyrinth des Brüsseler Parlamentsgebäudes verbracht. Und sie hat in den Fraktionen erstmals ein europapolitisches Programm skizziert.

Spätestens in diesen Anhörungen zeigte sich die Sinnhaftigkeit des Spitzenkandidaten-Modells, das das Parlament vor fünf Jahren ersonnen hat. Der CSU-Politiker Manfred Weber oder auch der niederländische Sozialdemokrat Frans Timmermans hatten ihre Parteienfamilien in den Wahlkampf geführt. Ihre Positionen zu Klimaschutz, Mindestlohn oder Migration sind bekannt. Wofür die Deutsche steht, wissen Italiener, Zyprioten, Bulgaren oder Schweden nicht. Doch von der Leyen ist auf ihre Stimmen angewiesen.

„Die Fraktionen treten bislang mit Maximalforderungen an Frau von der Leyen heran und zeigen wenig Bereitschaft, auf Kompromissangebote einzugehen“, sagt Politikwissenschaftler von Ondarza. „Wir sind an einem Punkt, an dem sie maximalen Druck ausüben wollen.“ Die sozialdemokratische Fraktionschefin Iratxe Garcia Pérez schickte ihr gar einen fünfseitigen, eng getippten Forderungskatalog mit detaillierten Punkten zu: Etwa 30 Prozent der Haushaltsgelder bis 2027 für den Kampf gegen den Klimawandel zu verwenden. Oder den Euro-Stabilitätspakt „flexibel“ anzuwenden. Auch die Liberalen stellen konkrete Bedingungen, etwa die Bestallung ihrer Spitzenkandidatin Margarete Verstager als Vizepräsidentin mit klaren Kompetenzbereichen. Von der Leyen hat sich schon deutlich bewegt. Gleichzeitig darf sie ihre EVP-Parteikollegen mit zu großen Zugeständnissen nicht verprellen. Auch SPD-Europapolitikerin Katarina Barley, die die Wahl von der Leyens bisher strikt ablehnt, erkennt das an: „Sie muss irgendwo im Wagen bleiben.“ Zumindest muss von der Leyen nach der Absage von Grünen und Linken nicht mehr versuchen, allen gerecht zu werden. „Sie weiß jetzt, auf wen sie sich konzentrieren muss“, sagt von Ondarza. Am Dienstagabend um 18 Uhr wird feststehen, ob ihr das gelungen ist.

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