Murren über Seehofers Milde

von Redaktion

Streit um Seenotrettung: Dobrindt fordert schärferen Kurs des Bundesinnenministers ein

Berlin/München – Vor ein paar Tagen war die CSU auf Klassenfahrt, mit den Gedanken aber zuhause. Die Bundestagsabgeordneten reisten drei Tage durch Irland, trafen den Premierminister, besuchten einen Soldatenfriedhof und sogar eine Whiskey-Destillerie. Wirklich viel Gesprächsstoff also – doch die energischsten Debatten führten die Parlamentarier unter- und übereinander. Man habe stundenlang über Horst Seehofer geredet, sagen Teilnehmer.

Der Bundesinnenminister hatte selbst andere Termine als die Irland-Reise. In und um Dublin beschlossen seine Parteifreunde allerdings, dass man dringend mit ihm reden müsse. Seehofers sehr verständnisvolle Haltung für die Seenotretter im Mittelmeer und sein Ruf nach offenen Häfen in Italien und Malta verärgerte viele der konservativeren CSU-Abgeordneten. „Mit solchen Positionen treibt man die Wähler direkt in die Arme der AfD“, schimpfte ein Parteifreund. Der Innenminister erliege wohl „irgendeiner Kirchentags-Romantik“. Der „Spiegel“ berichtete zeitgleich, selbst in der CDU gebe es Irritationen, Minister Jens Spahn warne vor einem „Pull-Faktor“, Innenpolitiker spotteten über eine unangebrachte „moralische Überlegenheit“ gegenüber Italien. Offenbar setze, so urteilte das Magazin, bei Seehofer „die Milde des Alters ein“.

Die CSU-Abgeordneten bedrängten ihren Chef Alexander Dobrindt, eilig gegen Seehofers Milde aktiv zu werden. Bald nach der Rückkehr aus Dublin trafen sich beide nun. Dobrindt riet erst im CSU-Parteivorstand in München, dann in einem persönlichen Gespräch mit Seehofer in Berlin eindringlich zu einer anderen Intonation. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht falsche Signale in unsere Wählerschaft senden“, wird er zitiert. Prominente Seenotretter wie Kapitänin Carola Rackete betrieben eine „Umdeutung von Arbeitsmigration aus der Subsahara als Klimaflüchtlinge“. Die Politik habe nicht nur die Verantwortung, Menschen aus Seenot zu retten, sondern auch „die Verantwortung, dass Menschen gar nicht erst in Seenot geschickt werden“.

Seehofer konterte mit Verweis auf geringe absolute Zahlen. Es sei unwürdig, wochenlang über einzelne Schiffe zu reden. Auf taube Ohren stieß Dobrindt dennoch nicht. Am Wochenende zeigte das Gespräch Wirkung. Bei seinem Auftritt vor der Jungen Union Oberbayern äußerte sich Seehofer viel zurückhaltender als vergangene Woche. Er warnte vor einer Wiederholung der Flüchtlingskrise von 2015, diesmal auf dem Seeweg. Tenor: Rettung ja, aber keine Übernahme aller Flüchtlinge durch Deutschland. „Das Gespräch war hilfreich“, heißt es aus der Landesgruppe.

Für eine internationale Lösung gegen das Sterben im Mittelmeer will Seehofer weiter eintreten. Anfang September soll es in Malta eine Sonderkonferenz der Innenminister Europas geben. Seehofer will dort eine „Koalition der Willigen“ eingehen, die einerseits Gerettete aufnehmen, andererseits alle ohne Asylanspruch schnellstmöglich zurücksenden. „Sogenannte Pull-Effekte müssen unter allen Umständen vermieden werden“, sagt Hans Georg Engelke, einer der Staatssekretäre des Innenministeriums. „Wer aus Seenot vor dem Ertrinken gerettet wurde, kann nicht auf Dauer davon ausgehen, dass er dann nach Europa kommt.“ Man müsse „im Blick behalten, dass wir das menschenverachtende Geschäft der Schleuser nicht beleben“.

Der Druck auf die Politik dürfte in den kommenden Tagen weiter steigen. Mehrere private Organisationen kündigten am Montag an, ihre Schiffe wieder vor die libysche Küste zu entsenden.

CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

Artikel 1 von 11