In trockenen Tüchern ist der Aufbruch der Ukraine als souveräner Staat mit einer freien Zivilgesellschaft nach Europa – nicht notwendigerweise in die EU – noch lange nicht. Rückwärtsgewandte Kräfte mit besten Drähten zum Kremlherrscher stehen bereit, um das Land wieder in die Abhängigkeit seines östlichen „Brudervolkes“ zu führen. Mit allen Übeln, gegen den der Euromaidan angetreten war, vor allem die epidemische Korruption.
Der zweite überragende Sieg des Newcomers Wolodymyr Selenskyj nun auch bei den Parlamentswahlen ist deshalb so beeindruckend, weil er zur Erweiterung seiner Machtbasis in kürzester Zeit die Partei „Diener des Volkes“ aus dem Boden gestampft hat. Doch der Erfolg kann bald verblassen, weil er von vielen Enttäuschten gewählt wurde, die ihn auch genauso schnell wieder fallen lassen, wenn er nicht liefert: wirtschaftliche Fortschritte, Strafverfahren gegen Korrupte, ein Ende des Donbass-Krieges und der Rückgewinn der Krim. Eine Herkulesaufgabe, die verkompliziert wird, da Russland im Winter den Erdgastransfer durch die Ukraine einstellen will.
Besorgniserregende Aussichten für das vom Krieg gebeutelte Volk und den Rest Europas: Denn für Putin könnte als Nebeneffekt eine Vertiefung der Spaltung des Kontinents herausspringen mit den ukrainefreundlichen Polen und Balten auf der einen, vom Kreml umworbenen Italienern und Ungarn auf der anderen Seite. Wie es dem 41-Jährigen gelingen soll, im Duell mit dem Politfuchs aus Moskau Land zu gewinnen, ist kaum abzusehen.
Bernd.Kreuels@ovb.net