Berlin/München – Ambulante, stationäre und rettungsdienstliche Notfallversorgung, die zurzeit noch weitgehend voneinander abgeschottet arbeiten, sollen zu einem System der integrierten Notfallversorgung ausgebaut werden. Das ist das Ziel der Reform, für die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sogar das Grundgesetz ändern will.
„Derzeit sind die Notaufnahmen der Krankenhäuser zu häufig überlaufen, weil unter den Patienten auch solche sind, denen andernorts besser geholfen werden könnte“, sagte Spahn den Funke-Zeitungen. Dadurch seien die Wartezeiten für Patienten oft zu lang, die dringend auf die Hilfe in der Notfallambulanz angewiesen seien. Die Eckpunkte des Konzepts: Die Telefonnummern 112 (Rettungsdienst) und 116117 (ärztlicher Bereitschaftsdienst) sollen zusammengeschaltet werden. Diese neue Notfall-Leitstelle soll eine Lotsenfunktion übernehmen und Patienten an die richtige Versorgungsebene weitervermitteln. Denn manche vermeintliche Notfälle könnten auch am nächsten Tag ganz normal zum Hausarzt gehen, meint Spahn.
Damit die Organisation der Rettungsleitstellen verändert werden kann, muss möglicherweise das Grundgesetz geändert werden, weil der Rettungsdienst Ländersache ist. Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenhäuser sollen künftig gemeinsam an ausgewählten Kliniken Integrierte Notfallzentren betreiben, die als erste Anlaufstelle für Notfallpatienten dienen. Sie sollen rund um die Uhr zugänglich sein und entscheiden, ob die Patienten an den Rettungsdienst, in die Krankenhausambulanz, die Bereitschaftsdienstpraxis oder eine Arztpraxis weitergeleitet werden.
Dr. Wolfgang Krombholz, Vorstandschef der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), verweist darauf, dass die Bereitschaftsdienst-Reform, die in Bayern seit 2012 umgesetzt wurde, schon einiges von dem erreicht habe, was Spahn jetzt vorschlägt: „So haben wir in 108 Krankenhäusern in Bayern bereits Bereitschaftsdienst-Praxen eingerichtet, die die Notaufnahmen der Kliniken entlasten.“
Die Notfallzentren sollen „räumlich derart in ein Krankenhaus eingebunden“ sein, dass sie von den Patienten „als erste Anlaufstelle im Notfall wahrgenommen werden“, heißt es in Spahns Gesetzentwurf. Die Patienten sollen motiviert werden, im Notfall nur solche Krankenhäuser aufzusuchen, an denen integrierte Notfallzentren eingerichtet sind. Über das nächstgelegene Notfallzentrum werden die Krankenkassen ihre Versicherten informieren.
Die Krankenkassen sollen künftig entscheiden, wie viel Geld die Rettungsdienste für eine Fahrt bekommen sollen. Bei nach deren Meinung unnötigen Krankentransporten soll es die Möglichkeit geben, dass der Transport überhaupt nicht erstattet wird – der Patient also auf den Kosten sitzen bleibt.
Den Koalitionspartner hat Spahn auf seiner Seite. „Wir brauchen eine grundlegende Umstrukturierung der Notfallversorgung. Denn sie funktioniert in Teilen des Landes immer schlechter“, sagte SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach unserer Redaktion. So gebe es Regionen, in denen zum Beispiel die Hälfte der Herzinfarktpatienten in Kliniken eingeliefert werde, die für die Behandlung von Herzinfarkt ungeeignet seien. Im Kern müsse es darum gehen, „dass dem Notfallpatienten überall auch optimal geholfen wird“.
Die Bundesärztekammer bezweifelt, dass genug Geld und Ärzte vorhanden sind. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz wies darauf hin, dass Patienten oft auch dann ins Krankenhaus gehen, wenn niedergelassene Ärzte nicht erreichbar sind. Stiftungsvorstand Eugen Brysch erklärte, dass 57 Prozent der Patienten in Berlin vor dem Gang in die Notaufnahmen vergeblich Hilfe bei einem Arzt gesucht hätten – und das bereits zu den üblichen Öffnungszeiten. Es bestehe daher dringender Handlungsbedarf bei den ärztlichen Bereitschaftsdiensten und auch bei Hausbesuchen.