Der „britische Trump“ übernimmt das Ruder

von Redaktion

Die Amtszeit als Premierminister beginnt für Boris Johnson mit einem Besuch bei der Queen. Für die 93-Jährige ist der Tory-Politiker bereits die Nummer 14. Gelingt ihm, woran Nummer 13 gescheitert ist?

VON SILVIA KUSIDLO UND ANSGAR HAASE

London/Brüssel – 13 Premierminister hat die britische Königin Elizabeth II. schon kommen und gehen gesehen. Ihr Lieblings-Regierungschef soll der erste, Winston Churchill, gewesen sein. Er war, so sagt man, wie ein gutmütiger Onkel, der sich um sie kümmerte, als ihr Vater gestorben war. Inzwischen ist die Queen 93 Jahre alt und die Nummer 14 heißt Boris Johnson.

Ob die Königin große Sympathien für den Brexit-Hardliner empfindet, darf bezweifelt werden. Der 55-jährige Johnson nimmt es nicht so genau mit der Wahrheit, kommt oft polternd und exzentrisch daher. Dennoch ist er in der konservativen Partei so beliebt, dass sie ihn mit großer Mehrheit zu ihrem Chef gewählt haben – und damit auch als Nachfolger von Premierministerin Theresa May. Man traut ihm zu, die enttäuschten Brexit-Wähler wieder ins Boot zu holen.

Einen Verbündeten scheint Johnson auch schon gefunden zu haben: US-Präsident Donald Trump, der gute Geschäfte mit dem Königreich wittert. Er lobte Johnson nach der Wahl über den grünen Klee: „Er ist tough und er ist schlau. Sie nennen ihn Großbritanniens Trump, und die Leute sagen, dass das eine gute Sache ist. Sie mögen mich da drüben, sie wollten das so. Es ist das, was sie brauchen.“

Wesentlich skeptischer, wenn nicht sogar mit einem Stück Verachtung, wird Johnson von vielen Staats- und Regierungschefs in der EU gesehen. Der Tory-Mann gilt in Brüssel als einer der Politiker, die die Briten mit Lügengeschichten gegen die EU aufhetzen, aber keine Idee haben, wie ein Austritt einvernehmlich umgesetzt werden soll. Auf Entgegenkommen der EU bei seinen Wünschen nach einer Neuverhandlung des Abkommens darf Johnson daher nicht hoffen.

In Brüssel glaubt man, dass er am Ende einknickt. Zum einen, weil er die Verantwortung für die wirtschaftlichen Schäden durch einen ungeregelten Brexit nicht tragen will; vor allem aber, weil ein Vorantreiben des ungeregelten Austritts zum Sturz durch Gegner in den eigenen Reihen führen könnte. Er würde wohl als Premierminister mit der kürzesten Amtszeit in die Geschichte eingehen.

Um dies zu verhindern, könnte Johnson nichts anderes übrig bleiben, als doch noch eine politische Kehrtwende zu vollziehen. In diesem Szenario würde er zum Beispiel Änderungen an der politischen Erklärung zu den zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Königreich als so weitreichend verkaufen, dass sie eine Annahme des Austrittsabkommens ermöglichen.

So oder so wird sich in der britischen Politik einiges ändern. Johnson bildete gestern sein Kabinett stark um und umgibt sich vor allem mit Brexit-Hardlinern und Weggefährten: Neuer Vize-Premier wird Michael Gove. Der einstige Brexit-Minister Dominic Raab übernimmt das Außenministerium vom scheidenden Jeremy Hunt. Innenminister Sajid Javid wechselt ins Finanzministerium, Liz Truss leitet fortan das Handelsministerium. Ex-Entwicklungsministerin Priti Patel wird Innenministerin. Brexit-Minister bleibt Steve Barclay. Viele EU-freundliche Minister und Staatssekretäre waren einem Rauswurf zuvorgekommen und hatten ihre Ämter selbst aufgegeben.

Die Königin mischt sich in all das nicht ein. Sie beobachtet und weiß, dass sie womöglich auch den 15. Premierminister noch erlebt.

Artikel 2 von 11