Johnson verspricht das Paradies

von Redaktion

Großbritannien wird das großartigste Land der Welt werden – das verspricht Boris Johnson den Abgeordneten in London. Doch Brüssel kommt ihm im Brexit-Streit keinen Zentimeter entgegen. Was nun?

VON ANSGER HAASE, STEFFEN TRUMPF UND SILVIA KUSIDLO

London/Brüssel – Der neue britische Premierminister Boris Johnson geht voll auf Konfrontationskurs zu Brüssel und verspricht seinen Landsleuten paradiesische Zustände nach dem Brexit. Seine Regierung sei verpflichtet, den EU-Austritt am 31. Oktober umzusetzen – „unter allen Umständen“, sagte Johnson bei seiner ersten Rede im neuen Amt gestern im Parlament in London.

Er pochte darauf, das zwischen seiner Vorgängerin Theresa May und der Europäischen Union vereinbarte Austrittsabkommen nachzuverhandeln. Ansonsten müsse sich Großbritannien ohne Deal von der EU trennen.

Er wolle das Vereinigte Königreich zum großartigsten Land der Erde machen, sagte Johnson. Im Jahr 2050 könne Großbritannien die am meisten florierende Wirtschaft Europas sein. Und Johnson legte im Parlament nach: Die britische Regierung werde keinen EU-Kommissar nominieren. Viele britische Vertreter seien „in Brüssel und Luxemburg in einem Treffen nach dem anderen gefangen, während sie besser neue Freihandelsabkommen sichern könnten“. Diese Leute wolle er befreien.

Doch in Brüssel stößt Johnson damit auf taube Ohren. Die Position der EU bleibe unverändert, sagte die Sprecherin von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in Brüssel. Das mit May ausgehandelte Abkommen sei der „bestmögliche Deal“. Denkbar sei lediglich, die geplante politische Erklärung zu den künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien zu ergänzen. „Das Austrittsabkommen werden wir nicht noch einmal aufmachen.“ EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier nannte Johnsons Forderungen schlicht „inakzeptabel“.

Zugleich warnte die Kommission Johnson noch einmal eindringlich davor, Großbritannien ohne Abkommen aus der EU zu führen. Dies würde erhebliche wirtschaftliche Folgen haben und die Konsequenzen würden für das Vereinigte Königreich verhältnismäßig größer sein als für die verbleibenden EU-Staaten.

Damit stehen sich beide Seiten weiterhin unversöhnlich gegenüber. Was nun? Johnson hofft mit seinem stark umgebauten Kabinett schlagkräftiger zu sein als May. Er besetzte alle Schlüsselpositionen mit starken Brexit-Befürwortern und treuen politischen Weggefährten. So wird etwa Michael Gove künftig als rechte Hand des Premierministers über die No-Deal-Planungen wachen. Der frühere Brexit-Minister Dominic Raab ist jetzt Außenminister. Viele EU-freundliche Staatssekretäre und Minister wurden von Johnson fallengelassen oder kamen ihrer Entlassung mit dem Rücktritt zuvor.

In Brüssel wird erwartet, dass Johnson nun durch wichtige EU-Hauptstädte tourt – und ihm das kaum nützen dürfte. Mitte Oktober könnte es dann beim nächsten regulären EU-Gipfel (17./18.10.) zum ersten großen Showdown kommen. Im Idealfall heißt es dann aus EU-Sicht weiter 27 gegen 1 -– wie schon zu Mays Zeiten.

Ein großes Problem für Johnson ist, dass eine Abkehr vom bisherigen Kurs der EU nur mit einer einstimmigen Entscheidung aller Mitgliedstaaten möglich ist.

Für nicht unwahrscheinlich wird es gehalten, dass Johnson beim EU-Gipfel Mitte Oktober konstatieren muss, dass seine Hoffnungen auf einen neuen Deal vergebens waren. Dann würde er vor der wohl schwierigsten Entscheidung seines Lebens stehen. Versucht er sein Land ohne Deal aus der EU zu führen, könnte er durch ein Misstrauensvotum aus den eigenen Reihen gestürzt werden. Die Alternative wäre eine eine erneute Verschiebung des Austrittsdatummes – entgegen aller Versprechen.

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