Ein Schleichweg ins Kanzleramt

von Redaktion

Wie Ministerin Kramp-Karrenbauer ganz ohne Wahl Merkels Nachfolgerin werden könnte

München/Berlin – Als Annegret Kramp-Karrenbauer vor zwei Wochen Verteidigungsministerin wurde, gab es viel Gemurmel. Ob sie das Amt im Kreuz habe? Was das nun bedeute? Ob sie das nun näher an die Merkel-Nachfolge bringe oder nicht? Antworten darauf stehen noch aus, da ist schon viel Gestocher im Nebel. Ein Detail übt aber Faszination aus: Für Kramp-Karrenbauer gibt es nun einen theoretischen Weg in die Kanzlerschaft – ohne Wahl.

Ein paar Wenns und Danns und Vielleichts umranken die Sache, die vorerst nicht mehr ist als ein unterhaltsames Gedankenspiel. Erster Schritt: Die SPD müsste die Bundesregierung verlassen. Gut, das gilt vielen in Berlin derzeit sogar als wahrscheinliches Szenario nach dem Parteitag im Dezember mit der unkalkulierbaren Wahl einer neuen Führung. Nach einem Rückzug der SPD bestünde die Regierung fort: Angela Merkel als gewählte Bundeskanzlerin, alle Unions-Minister und eine Reihe freier Posten. Die Minister kann Merkel nachbesetzen, auch ohne parlamentarische Mehrheit. Eine Position muss sie sogar neu vergeben aus dem Kreis ihrer Minister: die Sonderfunktion des Vizekanzlers, den ja bisher die SPD mit Olaf Scholz stellt. Gut möglich, dass die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer damit betraut würde. AKK wäre dann Vizekanzlerin und Verteidigungsministerin.

Zweiter Schritt: der freiwillige Rücktritt der Kanzlerin. Bisher lässt Merkel keine Amtsmüdigkeit erkennen. Falls sie tatsächlich auf ihr Amt verzichtet, kommt der Bundespräsident ins Spiel. Er muss Merkel dann ersuchen, das Amt trotz des Rücktritts geschäftsführend bis auf Weiteres zu behalten. Merkel kann das nur ablehnen, wenn es ihr objektiv unmöglich wäre – etwa wegen Krankheit. Das allerdings muss schon eine sehr einschneidende Erkrankung sein, macht der Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis deutlich. „Gesundheitsgründe, die angeführt werden, müssen natürlich tatsächlich vorhanden sein. Es reicht nicht zu sagen: Ich habe eine Allergie gegen das Kabinett“, sagte er vergangene Woche der „SZ“.

Ist Merkel wirklich krank, muss der Bundespräsident „sein Ersuchen an den bisherigen Vize-Kanzler richten“, hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags 2007 in einer Ausarbeitung festgehalten. Also in diesem spekulativen Fall: an Kramp-Karrenbauer. Sie würde dann geschäftsführende Bundeskanzlerin. Und zwar so lange, bis der Bundestag einen anderen Kanzler wählt, im Extremfall bis zur turnusgemäßen Neuwahl im Jahr 2021. „Theoretisch könnte sie bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleiben“, zitiert die „SZ“ den Rechtsprofessor Battis.

Die Konstruktion klingt verwegen. Zumal Merkel trotz ihres gelegentlichen Zitterns bei Auftritten jeden Eindruck einer ernsten Erkrankung zu zerstreuen versucht. Man muss tief in der Vergangenheit wühlen für eine vergleichbare Situation – aber es gibt sie. 1974 wurde Walter Scheel (FDP) nach dem Rücktritt von Willy Brandt geschäftsführender Bundeskanzler, neun Tage lang.

Der direkte Weg ins Kanzleramt ist Kramp-Karrenbauer politisch verbaut. Die SPD hat ausgeschlossen, einen neuen Unions-Kanzler mitzuwählen. Hier gibt es keine parlamentarische Mehrheit für sie. Auch halten es selbst hohe Unionspolitiker für ausgeschlossen, dass sich zügig eine Jamaika-Koalition aus CDU, CSU, Grünen und FDP schmieden ließe. Zwar wäre diesmal die FDP an Bord, die Grünen aber haben angesichts des Umfrage-Höhenflugs kein Interesse an einer Regierungsbeteiligung ohne Neuwahl des Bundestags.

CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

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