Eiskalter Wind vor Israels Wahltag

von Redaktion

Netanjahu muss um sein Amt zittern – und wegen der Korruptionsvorwürfe um seine Freiheit

Jerusalem – Am Dienstag wird in Israel ein neues Parlament gewählt – zum zweiten Mal in diesem Jahr. Zuletzt sorgte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit Aussagen zu Annexionsplänen für das Westjordanland für internationale Schlagzeilen. Für den festgefahrenen Friedensprozess sind Netanjahus Nachwahlträume ein kalter Wind.

Es war ein bisher einmaliger Schritt: Ende Mai, nach vorgezogenen Neuwahlen im April und einer gescheiterten Regierungsbildung, hatte sich das Parlament aufgelöst, waren erneut Wahlen angesetzt worden. Für den amtierenden Regierungschef geht es diesmal nicht nur um Politik: Netanjahu drohen Anklagen wegen Korruption. Sollte er nicht wiedergewählt werden, sinkt seine Chance, durch ein Immunitätsgesetz der Strafverfolgung zu entgehen.

Jenseits von Netanjahu kristallisierte sich der Wahlkampf wie selten zuvor an Themen, die für die Zukunft des Landes von großer Bedeutung sind. Die Sorge um das Verhältnis von (jüdischer Mehrheits-)Religion und Staat dominierte im strengreligiös-jüdischen Milieu den Wahlkampf. Ultraorthodoxe erklärten die Wahl zum Schicksalskampf um die jüdische Seele des Staates.

Die arabische Minderheit war wie in den Vorjahren neben dem Iran, der Hisbollah und der Hamas das Lieblingsthema Netanjahus. Er warf den arabischen Parteien Wahlbetrug bei den letzten Wahlen vor: Wenn Israel nicht aufpasse, würden linke Araber „die Wahlen stehlen“. Der Versuch von Netanjahus Likud, das Filmen von Wahllokalen durch Wahlbeobachter zu ermöglichen – von Kritikern als Versuch bewertet, arabische Wähler einzuschüchtern –, scheiterte am zuständigen Parlamentsausschuss.

Antiarabische Parolen auf Netanjahus Facebookseite, nach Aussagen der Partei ohne dessen Kenntnis erstellt, veranlasste Facebook, Netanjahus Chatbot zu sperren. Der Plan der linken Organisation „Zazim“, 15 000 arabische Wähler zu Wahllokalen zu fahren, wurde auf Drängen des Likud vom Zentralen Wahlausschuss verhindert.

Selbst wenn der antiarabische, antilinke Duktus verglichen zu früheren Kampagnen verschärft wurde: Die eigentlichen Polemiken verliefen nun nicht zwischen den großen politischen Lagern, sondern innerhalb. Eine Tatsache, die sich vielleicht durch das Kopf-an-Kopf-Rennen von Amtsinhaber Netanjahu mit seinem Hauptrivalen Benny Gantz vom blau-weißen Bündnis der Zentrumsparteien Chosen Le Israel, Jesch Atid und Telem erklärt. Je plus-minus 32 Stimmen entfallen laut allen Umfragen auf beide, für die erforderliche 61-Sitze-Mehrheit im Parlament kommt es damit auf die Stärke potenzieller Koalitionspartner an.

Das sensibelste Thema dominierte zuletzt den Wahlkampf. Wiederholt machte Netanjahu in den letzten Tagen Versprechen, im Fall einer Wiederwahl Teile der Westbank zu annektieren. Auf die Ankündigung, das Jordantal und das nördliche Tote Meer unter israelische Souveränität zu stellen, folgte prompt das O.K., eine illegale Siedlung im Jordantal nachträglich zu legalisieren. Er werde „sehr schnell nach den Wahlen“ die israelische Souveränität auf alle jüdischen Siedlungen sowie auf weitere Gebiete ausweiten, „die für unsere Sicherheit und die Sicherung unseres Erbes lebenswichtig sind“, so Netanjahu. ANDREA KROGMANN

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