Italien hofft auf „Ende der Eiszeit“

von Redaktion

Horst Seehofer sorgt für Entzückung in Italien, zuhause nicht so sehr: Der Vorstoß für eine Quote zur Abnahme von Migranten aus der Mittelmeer-Route hat eine energische Debatte ausgelöst. Ziehen weitere Länder nach?

VON INGO-MICHAEL FETH UND CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

Rom/München – Es kommt nicht alle Tage vor, dass sich Italiens Politiker voll des Lobes über Deutschland äußern. Häufig werden die Positionen Berlins zu wichtigen EU-Themen – besonders Migration und Finanzen – als Schulmeisterei oder Ignoranz empfunden. Mit seiner Ankündigung, Italien künftig 25 Prozent jener Flüchtlinge abzunehmen, die auf Rettungsschiffen in die Häfen des Landes gebracht werden, hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) für positive Schlagzeilen gesorgt.

Deutschland, so melden die führenden Tageszeitungen, stehe nun an der Seite Italiens. „Wir sind zwar erst am Anfang, doch aus Seehofers Äußerungen ist abzuleiten, dass sich Berlin ernsthaft bemüht, jenes Problem an den Wurzeln zu packen, das den Aufstieg der Populisten in Europa erst möglich gemacht hat“, schreibt die römische „La Repubblica“: „Nach einem Jahr Eiszeit unter Salvini reicht Berlin der Regierung Conte die Hand.“

Das gleiche Angebot – 25 Prozent – hat Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron im Gepäck, wenn er heute zu seinem Staatsbesuch in Rom eintrifft. Die Reform des Vertrags von Dublin (das Papier regelt das europäische Asylverfahren und gilt als überholungsbedürftig) sowie eine deutliche Ausweitung der aufnahmewilligen EU-Staaten stehen auch bei Macrons Gesprächen mit Staatschef Sergio Mattarella und Premier Giuseppe Conte im Mittelpunkt.

Doch in Rom ist man gewarnt: Angesichts des Dauerstreits unter den EU-Staaten und der mangelnden Solidarität der osteuropäischen Länder will man die Druckmittel nicht so schnell aus der Hand geben. Vize-Innenminister Vito Crimi gibt die Devise aus: „Unsere Position ist noch immer dieselbe. Die Häfen bleiben geschlossen, solange es keinen geregelten Verteilungsmechanismus gibt.“ Die Koalition aus Movimento 5 Stelle und Partito Democratico arbeite darauf hin, dass mindestens 70 Prozent der in Italien an Land gehenden Flüchtlinge auf andere EU-Mitglieder verteilt würden. „Und zwar nicht nur fallweise, sondern als feste vertragliche Regelung.“ Danach könne man auch über Rückführung von weitergereisten Asylbewerbern in ihr jeweiliges Erstankunftsland sprechen. Ein solcher Vertrag mit Seehofer war vor einem Jahr am Widerstand des damaligen Innenministers Matteo Salvini gescheitert. Morgen fliegt Roms Innenministerin Luciana Lamorgese zu Seehofer. Dann wird sich zeigen, ob die deutsche Geste mehr als ein Trostpflaster ist.

Seehofer forderte gestern weitere Staaten auf, seinem Vorbild zu folgen. „Neben Frankreich, Italien und Malta sollen sich dem möglichst viele Mitgliedsstaaten anschließen“, sagte ein Ministeriumssprecher in Berlin. „Die Alternative wäre, dass Europa seinen humanitären Verpflichtungen nicht gerecht wird.“ Zugleich sollten Maßnahmen gegen „Pull-Effekte“ vereinbart werden, wenn die Zahl der Migranten noch stärker ansteigt.

Die FDP erneuerte ihre Kritik an Seehofer. Aus der CSU kommen verhaltene Signale. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sagte unserer Zeitung, er begrüße, „dass auf europäischer Ebene konstruktive Gespräche geführt werden, um die unwürdige Situation im Mittelmeer zu beenden“. Europa dürfe Italien bei der Erstaufnahme nicht alleine lassen. Herrmann warnt allerdings, Seehofers Vorstoß dürfe „nicht missverstanden werden. Es geht hier sicher nicht um einen fixen Anteil an einer beliebig großen Anzahl.“

Wenn es bei den „paar hundert“ Aufgenommenen bleibe, gebe es dagegen schon aus humanitären Gründen nichts einzuwenden, sagt Herrmann. „Im Gegenzug erwarten wir von Italien dann aber, dass es seine Außengrenzen ordentlich kontrolliert und eine unkontrollierte Weiterreise von Migranten nach Deutschland effektiv und zuverlässig verhindert.“ Es sei wichtig, „keine neuen Pull-Faktoren zu schaffen und so das Geschäft der Schleuserbanden zu befeuern“.

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