New York/München – „Wie konntet Ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit Euren leeren Worten?“, fragte die 16-jährige Schwedin mit Tränen in den Augen vor der UN-Vollversammlung. „Wir werden Euch das nicht durchgehen lassen.“ Im Publikum saß auch Kanzlerin Angela Merkel, die in ihrer späteren Rede sagte: „Wir alle haben den Weckruf der Jugend gehört.“
Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) verwahrte sich gegen Thunbergs Vorwurf, die Politik habe den Klimaschutz bislang sträflich vernachlässigt: „Der Klimaschutz beginnt nicht mit Greta Thunberg.“ Auch Merkel distanzierte sich in einem Punkt: Es sei nicht ausreichend zum Ausdruck gekommen, „in welcher Weise Technologie, Innovation gerade im Energiebereich, aber auch im Energieeinsparbereich uns Möglichkeiten eröffnen, die Ziele zu erreichen“.
Besonders verärgert reagierten etliche Politiker, weil Thunberg und 15 weitere Jugendliche eine Beschwerde bei den UN eingereicht haben. Darin erklärten sie, dass Frankreich, Deutschland, die Türkei, Argentinien und Brasilien nicht genug gegen den Klimawandel unternehmen und damit gegen die vor 30 Jahren verabschiedete UN-Kinderrechtskonvention verstoßen würden. Die jungen Aktivisten sollten sich auf diejenigen konzentrieren und Druck ausüben, die versuchten, Dinge zu blockieren, kritisierte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er habe nicht das Gefühl, dass das die französische oder die deutsche Regierung sei, so Macron.
Im Internet sorgte derweil ein Video für Wirbel, das die zufällige Begegnung von US-Präsident Trump mit Thunberg zeigt. „Sie trägt mit ihrem sengenden Blick aus Versehen zur Erderwärmung bei“, scherzte das „New York Magazin“. Trump versuchte sich in Ironie: „Sie wirkt wie ein sehr glückliches junges Mädchen, das sich auf eine strahlende und wunderbare Zukunft freut“, twitterte er.
Wie kommt es, dass eine 16-jährige Jugendliche derart viel Aufmerksamkeit auf sich zieht? „Wir nehmen das wahr, was außerhalb unserer Erwartungshaltung ist. Eine Greta mit ihren Zöpfen, die so ganz anders aussieht wie man sich 16-Jährige vorstellt, sticht hervor. Sie ist der rosa Elefant unter lauter grauen Elefanten“, meint dazu die Münchner Psychologin Andrea Fischer. Die Kehrseite der Greta-Begeisterung sei der Hass, der der Schwedin auch entgegenschlägt: „Über den rosa Elefanten können Sie sagen: Ach ist der süß! Oder: Das ist eine Fehlmutation“, so die Psychologin. „So fundamentalistisch wie Greta auftritt, ist jedoch klar, dass ihr nicht nur mit Argumenten, sondern mit Emotionen begegnet wird.“
Gretas Engagement fürs Klima hänge auch mit ihrer Krankheitsgeschichte zusammen, erklärt die Psychologin weiter. Greta litt unter Essstörungen, die laut dem Buch ihrer Mutter geheilt wurden, als sie sich auf den Kampf gegen den Klimawandel stürzte. Fischer meint, dass Greta ihre Ess-Störung auf das Klima-Engagement umgelenkt habe: „Ess-Störungen sind meistens Hilferufe nach Aufmerksamkeit. Wenn ich etwas anderes finde, durch das ich diese Aufmerksamkeit bekomme, kann das helfen.“ Oft entstünden Essstörungen durch den Druck durch Helikopter-Mamas, die von ihren Kindern fordern: Du musst etwas werden! „Wie das bei Greta war, wissen wir nicht. Allerdings braucht es durchaus fordernde und fördernde Eltern für ein derartiges politisches Engagement“, so die Psychologin.
Das Asperger-Syndrom, unter dem Greta leidet, könne bei Auftritten wie jetzt vor den Vereinten Nationen sogar hilfreich sein: Die Patienten nehmen die emotionalen Signale der Umwelt nicht wahr. „Greta leidet dadurch weniger an Lampenfieber“, erklärt die Psychologin.