Grüne lassen Özdemir abblitzen

von Redaktion

Bisherige Fraktionsspitze setzt sich klar durch – „Wer kämpft, kann verlieren“

Berlin – Für ein paar Sekunden dürfen die Wahlverlierer dann doch in die allererste Reihe. Cem Özdemir und Kirsten Kappert-Gonther posieren mit den vier wichtigsten Grünen im Bund – zu denen neben den beiden Parteichefs auch weiterhin Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt zählen. Die Fraktionschefs dürfen im Amt bleiben, die Herausforderer sind gescheitert. Aber dieses Bild soll eine andere Geschichte erzählen: Wir stehen zusammen, wir sind geschlossen.

In einer Phase, in der die Grünen sich allzeit bereit für eine Neuwahl und fürs Regieren halten, hält die 67-köpfige Bundestagsfraktion es mit dem früheren Kanzler Konrad Adenauer: keine Experimente. Göring-Eckardt sieht in ihren 61,2 Prozent und den 58,2 Prozent von Hofreiter ein „deutliches Signal“, dass man den „Kurs der Geschlossenheit“ fortsetze.

Geschlossenheit ist seit nunmehr fast zwei Jahren das grüne Mantra, seit Robert Habeck und Annalena Baerbock Anfang 2018 in die Parteizentrale einzogen. Sie starteten damit einen in der Parteigeschichte beispiellosen Höhenflug. Die beiden lächeln nach der Wahl fröhlich in die Kameras, Arm in Arm mit Gewählten und Verlierern. Die Parteichefs kommen gut aus mit Hofreiter und Göring-Eckardt, die ganz ausdrücklich anerkennen, dass die Zugpferde inzwischen in der Parteizentrale sitzen – zum Missfallen mancher Fraktionskollegen.

Dass in dieser Situation plötzlich Ex-Parteichef Özdemir zurück in die erste Reihe drängte, stellte die neue Harmonie infrage – wenn auch nur für zweieinhalb Wochen. Nach der Wahl am Dienstagabend gibt er sich versöhnlich und humorvoll, dankt und sagt: „Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.“

Vor zwei Jahren wollte Özdemir sich auch schon an die Fraktionsspitze kämpfen, war aber nicht angetreten, als er sah, dass es aussichtslos gewesen wäre. Diesmal war es die letzte Gelegenheit vor der nächsten Bundestagswahl, vor möglichen Koalitionsverhandlungen, bevor Ministerämter zu verteilen sein könnten. Unzufrieden sein mit den Chefs, aber selbst nicht den Hut in den Ring werfen, das sieht auf Dauer nicht gut aus. Gereicht hat es auch diesmal nicht, aber abgeschmiert ist der Schwabe auch nicht – 27 von 67 Stimmen, 40,3 Prozent, man kann das als Achtungserfolg sehen. Zumal seine Teampartnerin in dieser Bewerbung, Kirsten Kappert-Gonther, bundesweit kaum bekannt ist.

Özdemirs Kandidatur hat ihm wieder mal Aufmerksamkeit gebracht, und er hat signalisiert: Mit mir solltet ihr rechnen. Das Büro des Verkehrsausschuss-Vorsitzenden ist buchstäblich im Souterrain des Bundestags, aber wenn es Neuwahlen gäbe, die Grünen am Zug wären, wer weiß – es könnte nochmal hoch hinaus gehen. Göring-Eckardt allerdings verweist erstmal auf Özdemirs Rolle im Ausschuss. „Er wird für uns Wahlkämpfe machen“, über alles Weitere werden man dann reden.

Schon vor der Wahl war klar, dass es für keine der beiden Seiten Selbstläufer werden würden. Für die 67 Abgeordneten wurden vier Wahlkabinen eingerichtet, damit niemand sich irgendeinem sozialen Druck beugt und hinterher keine Gerüchte verbreitet werden können. THERESA DAPP/FABIAN ALBRECHT

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