Kliniken in der Personal-Falle

von Redaktion

Weil Pflegekräfte fehlen, können kommunale Krankenhäuser schon die seit Januar geltenden Personaluntergrenzen oft nicht erfüllen und müssen Patienten abweisen. Ab 2020 will die Bundesregierung noch strengere Vorgaben machen. Die Landkreise fordern mehr Zeit für die Umsetzung.

VON SEBASTIAN HORSCH

München – Christian Bernreiter hat die Tücken des deutschen Gesundheitswesens buchstäblich am eigenen Leib erfahren. Der Präsident des bayerischen Landkreistags litt Ende August während seines Urlaubs im Breisgau an Bauchschmerzen. Zunächst ordnete er die Beschwerden einer Rippenprellung zu. Die hatte er sich zugezogen, als er kurz zuvor nachts auf einer Hütte aus einem Hochbett gefallen war. Doch der Schmerz wurde schlimmer. Bernreiter rief den Notarzt.

Und siehe da: In der Freiburger Uni-Klinik stellte man fest, dass er an einer akuten Blinddarmentzündung litt. Doch der dortige OP hatte keine freien Kapazitäten. Also wurde Bernreiter in ein anderes Krankenhaus gebracht, wo es aber ebenfalls zu wenig einsatzfähiges Personal gab, um die OP durchzuführen. Er werde aber am nächsten Morgen um 8 Uhr gleich als erster operiert, vertröstete man den Landkreistag-Präsidenten.

In Bernreiters Augen ist dieses Erlebnis kein Zufall, sondern zeugt von einem tieferen Problem im System: Denn um die seit diesem Jahr geltenden Personaluntergrenzen einzuhalten, müssten die Kliniken immer wieder Patienten abweisen, oder – wie in seinem Fall – eben eine Nacht warten lassen. Nach einer Umfrage der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) mussten 37 Prozent der Kliniken deshalb schon Betten auf Intensivstationen unbesetzt lassen.

Bernreiter beklagt zudem, dass Pflegekräfte im Notfall sogar aus dem Urlaub zurückgeholt werden müssten. „Das konterkariert das ursprüngliche Ziel, die Pflege zu entlasten“, sagt Bernreiter. Der Deggendorfer Landrat (CSU) ist in dieser Frage nicht nur als Patient betroffen. Denn die Mehrheit der bayerischen Krankenhäuser läuft unter kommunaler Trägerschaft.

„Wer dauerhaft zu wenige Pflegekräfte in seinem Haus einsetzt, gefährdet Patienten und auch Pflegekräfte“ – so argumentiert das Gesundheitsministerium für die Personalgrenzen. Und auch die Landräte seien natürlich dafür, dass sich mehr Personal um die Patienten kümmert, sagt Bernreiter. „Aber wir kriegen ja niemanden.“ Denn der Markt ist wie leergefegt. Pflegekräfte sind heutzutage eine rare Ressource, die Kliniken teils sogar voneinander abwerben. Und: „Anstatt dass die Pfleger entlastet werden, und mehr Zeit für die Patienten zur Verfügung steht, werden sie durch Dokumentationspflichten und starre Quoten ausgebremst“, sagt Bernreiter.

Ein Problem, das auch der Chef der Bayerischen Krankenhausgesellschaft kennt – und kommen gesehen hatte. Es dürfe auf keinen Fall darauf hinauslaufen, dass die Kliniken eine bestimmte Zahl an Pflegepersonal beschäftigen müssen, „und wir keine Chance haben, das zu schaffen, weil auf dem Markt keine Fachkräfte verfügbar sind“, hatte Siegfried Hasenbein bereits im Januar 2018 in unserer Zeitung gewarnt. Politik, Gewerkschaften und Krankenkassen müssten deshalb gemeinsam dafür sorgen, dass die Pflege ausreichend Nachwuchs gewinne. Doch die von der Großen Koalition bislang ergriffenen Maßnahmen haben noch nicht ausreichend Früchte getragen.

Und das Problem könnte sich verschärfen. Denn aktuell gelten die Personalgrenzen in Krankenhäusern für Intensivstationen, Unfallchirurgie, Kardiologie und Geriatrie. Doch Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat bereits angekündigt, die Personal-Vorgaben von 2020 an auch auf die Herzchirurgie und Neurologie sowie die „Stroke Units“ zur Behandlung von Schlaganfallpatienten zu erweitern.

Für Bernreiter ist dieser Zeitplan zu straff. „Wir brauchen längere Übergangsfristen“, sagt der Landkreistag-Chef. Der Turnus für die Pflege-Ausbildung dauere zwei Jahre. Mindestens diese Zeit müssten auch die Krankenhäuser erhalten, um zusätzliches Personal zu finden.

Er habe sich auch wegen dieses Themas jüngst bereits mit Spahn getroffen, sagt Bernreiter. Der Minister habe ihm zumindest zugesichert, die nächsten Schritte seiner Gesundheitsreform nochmals genau zu prüfen.

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