Damaskus/Istanbul – Zumindest ihren Koalitionspartner SPD hat CDU-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer mit dem überraschenden Vorstoß für eine internationale Sicherheitszone im Norden Syriens verärgert (siehe Artikel links). Was die einflussreichen Akteure in dem Bürgerkriegsland selbst von der Idee halten, lässt sich nur vermuten – kaum jemand reagierte auf die Anregung aus Berlin. Moskau und Ankara schafften dagegen ihre eigenen Fakten und einigten sich auf eine Zone an der Grenze zwischen der Türkei und Syrien, die sie selbst kontrollieren wollen. Internationale Truppen, die dort stationiert werden könnten, spielen bei ihren Überlegungen keine Rolle.
Kremlchef Wladimir Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan dürften mit der Entwicklung höchst zufrieden sein. Erdogan pries die Vereinbarung überschwänglich als „historisch“, die Russen nannten sie „schicksalhaft“. Sie bestätigt, was sich schon vor einer Woche in dem Abkommen mit den USA über eine Waffenruhe abzeichnete: Die Kurdenmiliz YPG –- in den Augen Ankaras eine Terrororganisation – muss innerhalb von 150 Stunden die komplette von ihr kontrollierte Grenzregion zwischen Syrien und der Türkei verlassen – so lässt sich die Vereinbarung lesen. Erdogan bekäme seine „Sicherheitszone“, mehr als 400 Kilometer lang, 30 Kilometer breit.
Die Abstriche wird er verschmerzen können: Die Türkei wird am Ende wohl nur ein rund 100 Kilometer langes Gebiet zwischen Tall Abjad und Ras al-Ain kontrollieren dürfen. In der Region waren türkische Truppen am 9. Oktober einmarschiert. Erdogan sagt, die Türkei habe sozusagen ein „Recht“ auf das Gebiet, auch wenn er gleichzeitig betont: „Das heißt nicht, dass wir dauerhaft bleiben.“ Im restlichen Teil des Grenzgebiets sollen Türken und Russen gemeinsam patrouillieren.
Die neue Abmachung ist ein weiterer Triumph der Türkei über alle in Europa, die den Einmarsch als völkerrechtswidrig betrachten. Außenminister Mevlüt Cavusoglu fühlt sich bestätigt: „Die Operation Friedensquelle wurde in nur fünf Tagen sowohl von den USA als auch von Russland als legitim akzeptiert.“ Gestern gab US-Präsident Donald Trump bekannt, dass man die Sanktionen gegen die Türkei wieder aufheben werde. Ankara habe eine dauerhafte Waffenruhe verkündet
Auch Putin kann einen weiteren Erfolg feiern. Russland gelingt es mit der Vereinbarung, seinen ohnehin schon großen Einfluss in Syrien weiter Richtung Norden und Osten auszudehnen. Wo bisher Washingtons Truppen an der Seite ihrer kurdischen Verbündeten im Einsatz waren, rücken nach dem US-Abzug russische Soldaten ein. Etwa in die Stadt Kobane, die einst ein Symbol war für den Widerstand der YPG gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die die Kurden von hier vertrieben. Gestern wurde bekannt, dass mehr als hundert IS-Mitglieder während der türkischen Großoffensive aus der Haft entkommen sind.
Während Washington künftig politisch und militärisch in dem Syrien-Konflikt nur noch eine Nebenrolle spielen dürfte, ist Putins Russland nun die letzte internationale Macht in dem Krisenland. Seit Jahren arbeitet der Kreml-Chef so beharrlich wie erfolgreich daran, seine Interessen in Syrien durchzusetzen. Spätestens nach dem US-Abzug und der neuen Vereinbarung mit der Türkei geht dort gegen Putins Willen nichts mehr.
Von Anfang an verfolgte Russland mit dem Militäreinsatz in Syrien das Ziel, die Regierung an der Macht zu halten. Nach mehr als acht Jahren Bürgerkrieg ist es den Truppen des syrischen Herrschers Baschar al-Assad gelungen, große Teile des Landes wieder unter Kontrolle zu bringen. Bei einem seiner wenigen öffentlichen Auftritte an der Seite von Generälen war aus Assads Worten ein Triumphgefühl herauszulesen. Er nannte die Kurden zwar nicht namentlich, spielte aber eindeutig auf ihr Bündnis mit seinem Erzfeind USA an. „Wir haben euch gesagt: Wettet nicht auf das Ausland“, tönte er. Aber darauf habe niemand gehört.