„Keiner im Osten bezeichnet die Linke als extrem“

von Redaktion

Politikwissenschaftler und CDU-Berater Werner Patzelt erklärt das Ergebnis der Thüringen-Wahl

München – Erstmals in der Geschichte haben bei der Thüringen-Wahl die Parteien am linken und rechten Rand eine parlamentarische Mehrheit errungen. Unsere Zeitung sprach über diesen Schock für die Volksparteien mit dem Dresdner Politikwissenschaftler Prof. Werner Patzelt, der auch Mitglied der konservativen Werteunion in der CDU ist.

Herr Prof. Patzelt, erklären Sie uns bitte den Osten: Warum wählen die Menschen dort in so großem Ausmaß die Parteien vom Rand, AfD und Linke?

Die Linke ist hier nicht unbedingt eine Partei vom Rand. Keiner im Osten würde sie ernsthaft als linksextremistisch bezeichnen. Die PDS war nach der Wiedervereinigung sogar eine authentische Volkspartei. In Thüringen hat es Bodo Ramelow zudem verstanden, die Linke zu einer geradezu sozialdemokratischen Partei zu machen – und er konnte sogar ordentlich Stimmen von der CDU gewinnen.

Und die AfD?

Sie schließt jene Lücke, welche die CDU durch ihre Sozialdemokratisierung zum rechten Rand hin hat aufklaffen lassen. Die AfD besteht ja nicht nur aus Rechtsradikalen; wohl ein Drittel ihrer Mitglieder sind ehemalige CDU-Mitglieder. Und Wählerwanderungsanalysen zeigen, dass auch ein Großteil der AfD-Wähler – sofern nicht zuvor Nichtwähler – ehemalige CDU-Wähler sind.

Die Thüringer Höcke-AfD gilt nun aber als besonders extrem rechts – warum schreckt das die ehemaligen CDU-Wähler nicht ab?

Die politische Strategie hat ja noch nie verfangen, die AfD durch lautstarkes Beschwören ihrer rechtsradikalen Teile als Horrorgespenst auszugeben. Die Leute sagen vielmehr: Nur weil es Höcke gibt, verzichte ich doch nicht darauf, klarzumachen, dass ich eine andere Migrationspolitik oder den Osten nicht länger benachteiligt sehen will! Aber es gibt natürlich auch Wähler, die der AfD nicht trotz, sondern wegen Höcke ihre Stimme geben.

Sie haben die CDU im Sachsen-Wahlkampf beraten. Warum haben da Ihre Rezepte gegen die AfD auch nicht funktioniert?

Die Rede von der Beratung war immer schon zu hoch gegriffen. Ich war nur Co-Vorsitzender der Programmkommission und habe bloß die Präambel des Wahlprogramms geschrieben. Im Übrigen sind meine Ratschläge nicht auf sonderliche Zustimmung in der sächsischen CDU-Führung gestoßen. Ich hatte nämlich empfohlen, CDU-enttäuschte AfD-Wähler zurückzugewinnen oder weiteres Abwandern zur AfD aufzuhalten. Die Parteiführung hingegen beschloss, in der Mitte zu punkten. Tatsächlich gewann die CDU Stimmen von ihren künftigen Koalitionspartnern SPD und Grüne, verlor aber stark an die AfD.

Wenn SPD, CSU oder CDU an den Rändern gewinnen wollen, verlieren sie in der Mitte. Wie kommen sie aus dem Dilemma heraus?

Sie müssen sich klar entscheiden, wofür sie zuständig sein wollen. Lange ist die Union gut damit gefahren, von der Mitte bis zum rechten Rand für alle zuständig sein zu wollen. Unter Angela Merkel aber hat sich die CDU ausdrücklich als Partei allein der Mitte erklärt – und hat dadurch der AfD ihre eigenen Wähler zugetrieben.

Wie groß ist die Schuld der Bundes-Vorsitzenden AKK am CDU-Desaster?

Die Verursachungskette beginnt schon bei der Vorgängerin Merkel, zumal mit der Migrationspolitik und der falschen Reaktion auf den mit Pegida im Osten aufbrandenden rechtspopulistischen Protest. Viele, die sich erhofft hatten, unter AKK würde die CDU frühere Politikfehler abstellen, sehen sich getäuscht. Hinzu kommen Ungeschicklichkeiten der neuen CDU-Chefin. Auch das hat Vertrauen in sie nicht gestärkt.

Interview: Klaus Rimpel

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