Berlin/Bad Waldsee – Die 200 Delegierten der Jungen Union in der Turnhalle im oberschwäbischen Bad Waldsee jubeln, als wäre Friedrich Merz ein Popstar. Später rufen sie „Kanzler, Kanzler“. Der ehemalige Unionsfraktionschef wischt sich auf der Bühne den Schweiß von der Stirn – und lächelt seinen Fans im Südwesten zu.
Es ist sein letzter großer Auftritt vor dem CDU-Bundesparteitag in Leipzig am Freitag und Samstag. Der Unionsnachwuchs – traditionell konservativer als die CDU – setzt sich für einen Mitgliederentscheid in der Frage der Kanzlerkandidatur ein, was als Affront gegen CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer verstanden wird. JU-Chef Tilman Kuban fordert am Samstag erneut, die Führungsfrage endlich zu klären. Und auch Merz hält die Debatte über die Kanzlerkandidatur seit Tagen am Köcheln.
In Oberschwaben gibt er sich jedoch loyal. Es sei nicht die Zeit für Personaldebatten, sagt er. „Und wenn ich mich zu der ein oder anderen Person auch einmal kritisch äußere, dann ist das kein Putschversuch. Lasst mal die Kirche im Dorf!“ Platze die GroKo, werde die CDU sehr schnell Entscheidungen treffen. „Ich bin bereit, daran mitzuwirken.“ Nur im Team, heißt das. Aber jedem dürfte klar sein, dass sich der 64-Jährige als Alternative zur Parteichefin sieht.
Kramp-Karrenbauer wandte sich derweil in der „Welt am Sonntag“ gegen eine Überarbeitung des Koalitionsvertrags. „Der Koalitionsvertrag gilt, und er wird ganz sicher nicht neu verhandelt“, sagte sie. Entsprechende Vorstöße kamen zuvor aus Union und SPD. Sie will die GroKo von keiner Seite über Gebühr belastet sehen.
Doch sie weiß auch: Delegierte, Unions-Anhänger und die Öffentlichkeit wird beim Parteitag vor allem interessieren, wer aus dem verbalen Showdown zwischen ihr und Merz als Sieger hervorgeht.
Viele gehen davon aus, dass Merz im Dezember 2018 in Hamburg die Wahl zum CDU-Chef vor allem wegen seiner mäßigen Rede verspielt hat. Merz, heißt es in der CDU, habe diese Schmach noch nicht verwunden. Seine Generalabrechnung mit der Politik seiner Intimfeindin Angela Merkel („Regierung grottenschlecht“) gilt ihnen als Beleg.
Für seine Unterstützer und ihn dürfte es auf dem Parteitag aber schwierig werden, konkrete Ergebnisse mit nach Hause zu nehmen. Denn AKK ist für zwei Jahre gewählt, der nächste offizielle Wahlparteitag steht erst Ende 2020 an – dort soll auch die Kanzlerkandidatur geklärt werden.
Dass sich die Delegierten in ihrer Mehrheit von einer fulminanten Rede von Merz dazu hinreißen lassen werden, kurzfristig einen Antrag auf die Tagesordnung zu setzen, um sofort über den künftigen Kanzlerkandidaten zu entscheiden, gilt bei Insidern als fast ausgeschlossen. Die CDU sei keine Partei der Revolution, heißt es unisono. Und außerdem ist der Machtwille Kramp-Karrenbauers nicht zu unterschätzen. Bisher scheint sie jedenfalls trotz des großen Drucks wegen eigener Fehler und mieser Umfragen die Nerven zu behalten.
Fast alles werde davon abhängen, ob AKK in Leipzig eine so gute Rede wie in Hamburg halten werde, heißt es auf Seiten ihrer Unterstützer. Erwartet wird, dass sie endlich ihre Visionen bei wichtigen Zukunftsthemen skizziert. Doch auch wenn die Revolte ausbleibt: Auf ruhige Monate der Konsolidierung wird sich Kramp-Karrenbauer nicht einstellen können. Anfang Dezember entscheidet die SPD bei ihrem Parteitag über ihre künftige Spitze –und damit womöglich über einen Ausstieg aus der Koalition. Spätestens dann wird die Debatte über die Kanzlerkandidatur erneut ausbrechen. JÖRG BLANK/NICO POINTNER