Landkreise schlagen Pflege-Alarm

von Redaktion

Der Fachkräftemangel hat die Lage in der Pflege enorm verschärft. Sehr viele bayerischen Landkreise sehen eine Notlage auf sich zukommen. Im Landtag berieten gestern Experten über mögliche Lösungen.

VON SEBASTIAN HORSCH

München – „Tagelang“ könne man über die Probleme in der Pflege diskutieren, leitete der Vorsitzende Bernhard Seidenath (CSU) gestern die Anhörung im Gesundheitsausschuss des Landtags ein. Doch das Gremium hatte für die Schilderungen von zwölf Sachverständigen nur gut zwei Stunden Zeit. Da hielt sich Georg Sigl-Lehner auch nicht lange mit Formalitäten auf. „Auf uns rollt eine Lawine zu“, sagte der Präsident der Vereinigung der Pflegenden in Bayern. Er bezweifelt die Zahlen der Bundesregierung, wonach in Bayern 5000 Pflegekräfte fehlen. „Ich glaube, es sind wesentlich mehr.“

Dass der Fachkräftemangel in der Pflege auch an Bayern nicht spurlos vorbeizieht, war klar. Wie drastisch die Lage offenbar bereits ist, hingegen wohl nicht jedem. Der bayerische Landkreistag hat den vom Ausschuss an ihn gestellten Fragenkatalog an seine Mitglieder weitergereicht. 58 von 71 Landkreisen haben geantwortet – und zeichnen ein düsteres Bild. 51 Landkreise (88 Prozent) kommen zu der Einschätzung, dass ihnen ein Pflegenotstand droht, oder eine Notlage bereits eingetreten ist.

Die Experten im Landtag waren sich einig, dass dieses Problem sowohl die stationären Pflegeheime als auch die ambulanten Pflegedienste hart trifft. Und gerade auf die Hilfe der mobilen Pflegekräfte sind auch viele pflegende Angehörige angewiesen, die noch immer 70 Prozent der Pflegearbeit leisten. „Ohne sie würde das ganze System wegbrechen“, sagte Brigitte Bührlen von der Stiftung pflegender Angehöriger. Eine durchaus reale Gefahr.

Denn die befragten Landkreise gehen bereits davon aus, dass der bislang hohe Anteil der Angehörigenpflege in den kommenden Jahren deutlich zurückgehen wird. Auch, weil das Angebot an Kurzzeit-, Tages- und Nachtpflegeplätzen zur Entlastung pflegender Angehöriger unzureichend sei. Angehörigen-Vertreterin Bührlen erkennt zudem einen gesellschaftlichen Wandel. „Vater, Mutter, Kind und Trauschein ist nicht mehr das übliche Familienmodell.“ Zudem gebe es immer mehr Menschen, die es sich nicht zutrauen, einen Angehörigen zu pflegen, oder das schlicht nicht wollen. „Dass die Angehörigen-Pflege nicht unser Bollwerk sein kann, muss uns klar sein“, sagte Bührlen.

Was also tun, um dem akuten Mangel an Pflegekräften zu begegnen?

„Durch Ausbildung alleine können wir die Lücke nicht schließen“, sagte Joachim Görtz vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste. Doch bei der Zuwanderung von Pflegekräften bestehe häufig das Problem, dass die Anerkennung der ausländischen Berufsabschlüsse viel zu lange dauere. Wilfried Mück, der Geschäftsführer der Freien Wohlfahrtspflege in Bayern, regte deshalb eine Vorabprüfung schon im Ausland an. Allerdings müssten die angeworbenen Pfleger nicht nur die Sprache beherrschen – „das Handwerkszeug der Pflege“ –, sondern auch die deutsche Kultur und Geschichte kennen. Zudem „müssen wir aufpassen dass wir nicht Menschen aus dem Ausland abwerben, die dort dringend gebraucht werden“.

Klar wurde zudem, dass man nicht zu viel Hoffnung darauf setzen sollte, das zeitnah technische Wunderlösungen das Problem lösen. Die Pflege-Roboter, die es bisher gibt, seien „sturzgefährdeter als die Patienten selbst“, sagte Constanze Giese, Professorin an der Katholischen Stiftungshochschule.

Klaus Schulenburg, Leiter der Abteilung Soziales beim Bayerischen Landkreistag, hält stattdessen ein niederländisches Modell namens Buurtzorg für vielversprechender. Dabei betreuen und unterstützen selbstständig organisierte Teams Gemeinschaften bei der Pflege. Eins zu eins sei das zwar nicht auf Deutschland übertragbar, doch es gebe Bemühungen, vergleichbare Strukturen zu entwickeln. Man müsse Pflege neu denken. Sonst werde das aktuelle Modell „gegen die Wand laufen“.

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