„Die Bürger nicht zur Energiewende prügeln“

von Redaktion

Aiwangers ungewöhnliche erste Regierungserklärung: Ruf nach Bayerns Strom-Autarkie

München – Unter dem riesigen Weihnachtsbaum im Maximilianeum stehen Ochs und Esel, Maria und Josef, etliche Engerl. Und Hubert Aiwanger. Der Wirtschaftsminister hält kurz inne vor der großen Krippe im Landtag. „Göttlicher Beistand ist wichtig, wenn man so viele Angreifer hat“, flachst er, geht dann ins Plenum und tritt ans Pult.

An Angreifern fehlt es Aiwanger wahrlich nicht. Die Opposition hat seine erste Regierungserklärung – die erste eines Freien Wählers in Bayerns Politgeschichte – schon bis ins Detail zerpflückt, ehe er sie gehalten hat. Als „falschen Mann am falschen Platz“ würdigt ihn in Zeitungsartikeln die FDP, „ambitionslos“ finden ihn die Grünen, als „Hofnarr der CSU“ veralbert ihn die SPD.

Viel Feind. Viel Ehr? Aiwanger tritt am frühen Nachmittag ohne erkennbare Nervosität ans Pult. Er verdutzt den Saal sogar, weil er auch bei diesem Auftritt komplett frei spricht, bei Regierungserklärungen gab es das wohl noch nie. Ohne Manuskript rattert er sein Grundsatzprogramm zur Energiepolitik runter. Die Zahlen hat er im Kopf, die Sätze bilden sich spontan.

Inhaltlich ist sein Ziel klar. Bayern drohe trotz der Abschaltung der letzten Kernkraftwerke nach 2022 kein Blackout. Die Gastkraft-Kapazität in Reserve sei größer als der Wegfall. Aiwanger setzt auf dezentrale Energieversorgung, so weit wie möglich ohne große Stromtrassen. Den größten Anstieg will er bei der Solarenergie. „Fotovoltaik ist ein Glücksfall für Bayern.“ Er will das Freiflächen-Kontingent auf mehr als die geplanten 70 Projekte erhöhen. Kleine Wasserkraftanlagen will der Staat stärker fördern, ebenso 3000 neue Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung.

Ein Balanceakt ist Aiwangers Rede bei der Windkraft. Er muss als Regierungsmitglied die 10H-Abstandsregelung verteidigen, die seine Partei vor der Wahl bekämpfte. „Wenn 10H weg wäre, würde Streit aus dem Boden sprießen, nicht neue Windräder“, verkündet er also. Immerhin gibt es einen Kompromiss für 27 bereits genehmigte, aber wegen 10H gestoppte Windräder: Sie dürfen, wenn gewünscht, realisiert werden.

Der Verzicht aufs Skript bringt einen arg kurvenreichen roten Faden – und viele ungewöhnliche Sätze. Aiwanger rutscht raus, dass er über einen Fotovoltaik-Zwang auf privaten Neubauten nachdenkt: „Überlegungen, das verpflichtend zu machen, sind nicht ganz abwegig. Aber ich bin noch nicht so weit.“ Insgesamt müsse man die Energiewende so gestalten, „dass die Bürger es selber wollen, dann müssen wir sie nicht dahin prügeln“. Zwischendrin, das war wohl dem Krippenbesuch geschuldet, dankt er „dem lieben Gott, dass Du die Sonne scheinen lässt“.

In der CSU sieht man Ministerpräsident Markus Söder mehrfach die Stirn runzeln (am Ende der 51 Minuten ist er zufrieden). Die SPD-Fraktion verbreitet Piktogramme von blinden Affen zu Aiwangers Rede. Der Grünen-Abgeordnete Martin Stümpfig ruft nach einem „Gong, der uns erlöst“. In seiner Replik wirft er Aiwanger Konzeptionslosigkeit in der Energiewende vor. „Ihre Meinung hängt davon ab, in welchem Wirtshaus Sie sprechen.“

Auch die SPD fordert mehr Windkraft. Aiwangers „Sammelsurium“ reiche nicht aus, sagt Annette Karl. FDP-Fraktionschef Martin Hagen spottet: „,Bayern, kauft bayerischen Strom!‘ ist ähnlich sinnvoll wie ,Deutsche, kauft deutsche Bananen!‘“ Die von den Freien Wählern bekämpften großen Stromtrassen seien dringend nötig. Die AfD bezeichnet die Energiewende als gescheitert und rügt den „überhasteten“ Atom-Ausstieg. Sie wendet sich gegen mehr Windräder. CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

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