Wie geht es weiter in Berlin?

von Redaktion

Der konservative Teil der SPD tut so, als sei nichts passiert. Doch in Berlin stellen sich immer mehr auf ein Ende der Großen Koalition ein. Die entscheidende Frage lautet: Wie geht es danach weiter?

VON MIKE SCHIER UND SEBASTIAN HORSCH

München – Es ist ein echter Montagmorgen. Die Party ist vorbei, das Wetter grau, der Kopf noch schwer vom aufreibenden Wochenende. Und in der SPD tun zumindest die Politiker vom konservativeren Flügel so, als sei gar nichts besonderes vorgefallen.- Es gebe „keine radikale Kursänderung“, findet Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher. Markus Rinderspacher, Vizepräsident des bayerischen Landtags, mahnt: „Die kopflose Flucht aus der Regierungsverantwortung wäre ein Fehler.“ Und der Münchner OB Dieter Reiter sagt: „Ich bin der festen Überzeugung, dass es Unsinn wäre, jetzt aus dieser Großen Koalition auszusteigen. Wer glaubt denn, dass danach alles gut wäre? Es würde vielleicht Teile unserer geschätzten Genossinnen und Genossen freuen, aber nicht zu mehr Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung beitragen.“

Die Genossen winden sich sehr ob des Ergebnisses, das ihnen die Basis mit auf den Weg gegeben hat. Doch nach der Wahl von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken scheint dieser Weg unaufhaltsam aus dem Bündnis zu führen. Zu deutlich ist die Erwartungshaltung ihrer Wähler. Schon Martin Schulz hatte ja ein Ende der GroKo versprochen – und musste dann umkehren. Diesmal erwartet die Partei Resultate. Endgültig. Insider vermuten, dass vor allem am Parteitag am Wochenende die Forderung nach neuen Verhandlungen mit der Union lauter werden. Motto: Ihr bessert den Koalitionsvertrag zu unseren Gunsten nach, dafür dürft ihr weiter die Kanzlerin stellen.

Realistisch ist das nicht. Eher wirkt das wie eine gezielte Eskalation, um den Schwarzen Peter für das Scheitern nicht alleine tragen zu müssen. Gestern jedenfalls positionierte sich nach Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder auch Angela Merkel ungewohnt deutlich. „Eine Neuverhandlung des Koalitionsvertrags steht nicht an“, sagte ihr Sprecher Steffen Seibert. Natürlich sei die Kanzlerin zu Gesprächen mit den neuen SPD-Chefs bereit. Neuen Vorhaben könne sich die Koalition allerdings nur gemeinsam zuwenden. Im Regierungsviertel glauben inzwischen viele, dass es im Januar zum Schwur kommen könnte.

Und dann? Im Prinzip gibt es drei Möglichkeiten. Mehrere Unionspolitiker spekulieren derzeit über eine Minderheitsregierung. Sie argumentieren unter anderem mit außenpolitischer Verantwortung, weil Deutschland im zweiten Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Mit dem eben verabschiedeten Haushalt seien innenpolitisch die Grundpfeiler eingeschlagen. Für einzelne Gesetze könne man wechselnde Mehrheiten finden – und zugleich auch wieder das eigene Profil schärfen. Jens Spahn ist schon länger ein Verfechter des Modells, seit Neuestem auch Friedrich Merz, der vielleicht auf einen Ministerposten spekuliert. Doch es gibt auch Skeptiker: „Das Problem an einer Minderheitsregierung ist, dass die Opposition die Mehrheit hätte“, warnt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. SPD, Grüne, FDP und Linke könnten einzelne Projekte durchsetzen, beispielsweise eine Legalisierung von Cannabis.

Auch ein zweiter Anlauf für Jamaika-Verhandlungen wäre natürlich möglich. Die Union hätte nichts dagegen, auch die FDP wäre sofort dabei. Bis heute wird Christian Lindner Flucht aus der Verantwortung vorgeworfen, mehrfach hat er bereits Bereitschaft für einen neuen Versuch signalisiert. Größte Hürde wären heute die Grünen, die bei Neuwahlen natürlich deutlich besser abschneiden würden als 2017. Doch wenn der Bundespräsident die Ökopartei – so wie 2017 die SPD – an ihre staatspolitische Verantwortung erinnert und auf die EU-Ratspräsidentschaft verweist, würde auch hier der Druck wachsen. Zudem könnten Union und FDP den Partner mit ein paar Extra-Posten und inhaltlichen Zugeständnissen locken.

An Neuwahlen haben weder Union noch FDP Interesse. Und eigentlich auch nicht die SPD. Den Genossen drohen die höchsten Verluste von allen. Auch deshalb sträuben sich ja so viele Mandatsträger gegen das Basisvotum.

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