Watford/London – Emmanuel Macron denkt gar nicht daran, den Staats- und Regierungschefs der 28 anderen Nato-Staaten zum Abschluss des Jubiläumsgipfels doch noch einen Gefallen zu tun. Auf die Frage, ob er es bereue, die Nato als hirntot bezeichnet zu haben, kommt gestern wie aus der Pistole geschossen: „Überhaupt nicht.“ Seine vernichtende Diagnose habe eine „unentbehrliche“ Diskussion angestoßen, behauptet der französische Präsident, als er auf dem Gelände eines Golfhotels in Watford bei London eintrifft. Es liege nun in der Verantwortung aller, eine echte Strategiedebatte zu beginnen.
Macron gibt sich eisern, übertönt sogar den sonst so lautstarken Donald Trump. Hatte sich der US-Präsident bei den vergangenen beiden Gipfeln mit konfrontativen Äußerungen in den Mittelpunkt gestellt, ist es diesmal Macron. „Wie schaffen wir einen dauerhaften Frieden in Europa? Wer ist unser Feind? Wie gehen wir gemeinsam gegen den Terrorismus vor?“, fragt Macron. Es gebe so viele Themen, die nicht ausreichend geklärt seien.
Macron stellt berechtigte Fragen – aber es gibt wenig Appetit bei den Staats- und Regierungschefs und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, darauf einzugehen. Die einhellige Meinung lautet, dass der Franzose dem Bündnis einen Bärendienst erwiesen hat. Kaum etwas schadet dem Verteidigungsbündnis nämlich so sehr, wie Zweifel an Vitalität und Zusammenhalt zu wecken.
Selbst die Entscheidung über die von Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) vorgeschlagene Reformkommission für mehr politische Koordinierung wird vertagt. In der Abschlusserklärung fordern die Staats- und Regierungschefs Generalsekretär Stoltenberg lediglich auf, einen Vorschlag für einen „zukunftsorientierten (…) Reflexionsprozess“ vorzulegen.
Merkel tut auf ihrer Abschluss-Pressekonferenz trotzdem so, als wäre die Kommission schon eingesetzt. Die „Reflexionsgruppe“ könne darüber nachdenken, wie die künftigen Beziehungen zu Russland gestaltet und die Rolle Europas bei Abrüstungsverhandlungen gestärkt werden könne. Damit liegt sie auf einer Linie mit Macron und stärkt ihm als einzige Gipfelteilnehmerin ein wenig den Rücken.
Ansonsten bemüht sich das Bündnis zu demonstrieren, dass es alles andere als hirntot ist. In seiner Pressekonferenz preist Stoltenberg die jüngsten Fortschritte bei der Verstärkung der Verteidigungs- und Abschreckungsfähigkeiten. Er kann berichten, dass der schwierige Bündnispartner Türkei seine Blockade von aktualisierten Verteidigungsplänen für Osteuropa aufgegeben hat. Und er weist darauf hin, dass sich die Staats- und Regierungschefs beim Gipfel erstmals mit dem Bedrohungspotenzial Chinas beschäftigt haben.
„Das Signal war eins der Gemeinsamkeit, deshalb bin ich auch sehr zufrieden“, sagt auch Merkel bei einem Auftritt mit Trump. Der präsentiert sich beim Gipfel überraschend zahm – insbesondere im Beisein von Merkel. Reporter klopfen ihn auf alle Streitpunkte mit Deutschland ab – doch ein eklatantes Statement will der Amerikaner einfach nicht machen.