Paris – Bei seinem flotten Gang in den Élyséepalast zeigt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj das Victory-Zeichen. Wenig später ist er am Ziel, als er Kremlchef Wladimir Putin das erste Mal überhaupt persönlich gegenübersitzt – an einem Tisch mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem Gastgeber Emmanuel Macron. Putin nickt ihm freundlich zu. Lange musste der 41-jährige Ukrainer auf diesen Moment warten. Der 67-jährige Putin ließ sich viel Zeit, geriet zuletzt aber ob Selenskyjs frischer und zupackender Art im Ukraine-Konflikt in Zugzwang.
Im Ringen um einem Frieden in der Ostukraine gab es dann am Abend erste Zeichen für ernsthafte Fortschritte. Die Gipfelteilnehmer debattierten überraschend eine gemeinsame Erklärung, wie in Kreisen der französischen Präsidentschaft bestätigt wurde. Auch die Tatsache, dass sich das Treffen deutlich länger hinzog als geplant wurde als ein Indiz für intensive Debatten gesehen.
In den ostukrainischen Regionen Donezk und Luhansk stehen sich ukrainische Regierungstruppen und prorussische Separatisten gegenüber. Rund 13 000 Menschen sind nach UN-Schätzung bisher ums Leben gekommen.
Der im April ins höchste Staatsamt gewählte Selenskyj steht innenpolitisch erheblich unter Druck. Direkt vor dem Präsidentensitz in Kiew hielten sich in der Nacht zum Montag bei Temperaturen um den Gefrierpunkt mehrere Hundert Menschen auf, die gegen mögliche Zugeständnisse an Russland demonstrierten.
Kiew will die Kontrolle über den ukrainisch-russischen Grenzabschnitt zurück, der von prorussischen Separatisten kontrolliert wird. Diese werden von Moskau unterstützt. Zudem fordert die Ukraine einen weiteren Gefangenenaustausch und einen Waffenstillstand. Ein Friedensplan, der 2015 in der weißrussischen Hauptstadt Minsk ausgehandelt wurde, liegt weitgehend auf Eis.
Russland war mit der Vorgabe in die Verhandlungen gegangen, dass sich Selenskyj zum Minsker Friedensplan bekennen müsse. Dieser regelt Schritte wie die Entmilitarisierung und die Waffenruhe, die immer noch brüchig ist.
Bundesaußenminister Heiko Maas warnte indessen vor allzu großen Hoffnungen auf ein schnelles Auslaufen der europäischen Wirtschaftssanktionen gegen Russland. „Es wäre schön, wenn wir irgendwann dahin kämen“, sagte der SPD-Politiker in Brüssel. Bislang gebe es aus seiner Sicht aber keine Veränderungen, aus denen man Konsequenzen ziehen könnte.
Vor Beginn des Pariser Spitzentreffens protestierten zwei halbnackte Femen-Aktivistinnen vor Macrons Amtssitz. Eine Aktivistin wurde von Sicherheitskräften umringt und direkt vor der Einfahrt des historischen Gebäudes abgeführt. „Stoppt Putins Krieg. Putin ist kein Vermittler für den Frieden, er ist ein Kriegspropagandist!“, hieß es auf der Facebook-Seite der Organisation über Putin. Femen ist eine am 11. April 2008 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew gegründete Gruppe.
Der Gipfel wird auch als „Normandie-Treffen“ bezeichnet, weil es die erste Zusammenkunft dieser Art im Juni 2014 in der Normandie gab – diese Region liegt nordwestlich von Paris. Gastgeber Macron strebt einen umfassenden Dialog mit Moskau über Sicherheit und Stabilität in Europa an. Um zu Fortschritten mit Moskau zu kommen, muss nach französischer Auffassung auch der Ukraine-Konflikt gelöst werden. Macrons Annäherung an Moskau wird in mittel- und osteuropäischen Ländern mitunter misstrauisch verfolgt. Merkel kam am Rande auch zu einem gemeinsamen Gespräch mit Putin zusammen. Über Inhalte machte die deutsche Seite zunächst keine Angaben. Es war erwartet worden, dass Merkel den Mord an einem Georgier in Berlin anspricht, der zu einer diplomatischen Krise zwischen Deutschland und Russland geführt hat.