Die EU bläst zur Klimarevolution

von Redaktion

Um die Überhitzung der Erde zu stoppen, soll die Europäische Union ab 2050 keine neuen Treibhausgase mehr in die Atmosphäre blasen. Das ist das Ziel des „Green Deal“. Aber ist das überhaupt möglich?

VON VERENA SCHMITT-ROSCHMANN

Brüssel – Ursula von der Leyen sparte nicht mit großen Worten. „Wir geben dann unser Bestes, wenn wir mutig sind und das Ziel hoch stecken“, sagte die EU-Kommissionschefin gestern im Europaparlament. „Mit unserem Green Deal stecken wir das Ziel hoch.“ Bis 2050 soll Europa als erster Kontinent „klimaneutral“ werden.

Was das bedeutet, kann man beim Blick aus einem Fenster in der Innenstadt erahnen: Alle Autos, die sich heute durch verstopfte Straßen quälen, sollen in 30 Jahren ersetzt sein durch abgasfreie Modelle, alle Häuser so gedämmt, dass man kaum mehr heizen oder kühlen muss. Städte sollen begrünt und unzählige neue Bäume gepflanzt werden. Die Industrie soll ohne Abgase produzieren, Bauernhöfe ebenfalls, Stromerzeuger sowieso. Es ist ein neues Wirtschaftsmodell. Ein Generationenprojekt.

Mit dem Plan steht von der Leyen nicht allein – in der Sondersitzung des EU-Parlaments signalisierten die großen Parteien Unterstützung. Auch fast alle EU-Staaten stehen hinter dem Ziel der „Klimaneutralität“ bis 2050, das beim EU-Gipfel heute festgeschrieben werden soll. Doch stellten sich bis zuletzt Polen, Ungarn und Tschechien quer. Kommen sie nicht an Bord, wäre der Ausgang ungewiss.

Kern des „Green Deal“ sind zwei Ziele: Ein Klimagesetz, das bis März 2020 vorliegen soll, soll die „Klimaneutralität 2050“ unumkehrbar verankern. Bis dahin sollen alle Treibhausgase vermieden oder gespeichert werden. Nötig ist dafür ein kompletter Umbau von Industrie, Energieversorgung, Verkehr und Landwirtschaft. Der zweite Punkt ist ein ehrgeiziges Etappenziel: Die EU soll bis 2030 ihre Klimagase um 50 bis 55 Prozent (bisher 40) unter den Wert von 1990 bringen.

An den neuen Zielen soll die gesamte EU-Gesetzgebung ausgerichtet und mit einer Mischung aus Anreizen, Hilfen und Vorgaben umgesetzt werden. Im Januar soll ein „Mechanismus für einen fairen Wandel“ vorgestellt werden. Kern ist ein Fonds, aus dem Regionen Geld bekommen, für die der Umbau besonders hart ist, Kohlereviere etwa. 100 Milliarden Euro sollen mobilisiert werden.

Bei weiteren Projekten geht es etwa um Importhürden für klimaschädlich produzierte Waren, neue Emissionsgrenzwerte für Autos, eine auf Umwelt und Klima ausgerichtete Agrarreform sowie ein Plan zur Aufforstung und zum Erhalt von Wäldern. Insgesamt strebt von der Leyen grüne Investitionen für eine Billion Euro an. Kritikern hält sie entgegen: „Wir sollten nicht vergessen, wie teuer es wäre, nicht zu handeln.“

Ziel ist es, die Überhitzung der Erde abzuwenden und damit katastrophale Folgen so weit wie möglich zu vermeiden. Das ist schon 2015 im Pariser Klimaabkommen vereinbart. Dort heißt es, die globale Erwärmung solle bei unter zwei Grad, möglichst sogar bei 1,5 Grad gestoppt werden, gemessen an vorindustrieller Zeit. Die EU will Vorreiter sein und ihre technischen Lösungen dann auch in alle Welt verkaufen. Von der Leyen: „Der europäische Green Deal ist unsere neue Wachstumsstrategie.“

Umweltverbände und Grüne halten vor allem das Ziel für 2030 für unzureichend. Um das Pariser Abkommen umzusetzen, müssten die Klimagase dann schon um 65 Prozent gesenkt sein, sagt Greenpeace. Konservative und Industrie bemängeln, Klimaneutralität 2050 sei nach jetzigem Stand gar nicht möglich. Von „magischem Denken“ sprach der Bundesverband der Deutschen Industrie. Außerdem habe Europa nur einen Anteil von neun Prozent an den weltweiten Treibhausgasen, und die Großverschmutzer China und USA teilten den Ehrgeiz nicht. Von der Leyen hält dagegen. „Es wird ein langer und mitunter holpriger Weg, ohne Frage“, sagte sie im Parlament. Aber: „Wir wissen, dass es machbar ist.“

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