Washington – Vor dem historischen Votum über die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen Donald Trump hat der US-Präsident seiner Wut über das Prozedere in einem Brief freien Lauf gelassen. In dem sechsseitigen Schreiben an die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, erhob Trump schwere Vorwürfe gegen die Frontfrau der Demokraten und ihre Partei. „Indem Sie mit Ihrem ungültigen Impeachment fortfahren, verletzen Sie Ihre Amtseide, brechen Sie Ihre Treue zur Verfassung und erklären Sie der amerikanischen Demokratie offen den Krieg“, hieß es in dem Brief, den das Weiße Haus veröffentlichte.
Das Repräsentantenhaus kam gestern zu der entscheidenden Sitzung zusammen, an deren Ende die Abgeordneten über zwei Anklagepunkte gegen den republikanischen Präsidenten abstimmen sollen: Machtmissbrauch und Behinderung der Ermittlungen des Kongresses. Nimmt eine einfache Mehrheit der Abgeordneten mindestens einen der beiden Punkte an, wird das Amtsenthebungsverfahren (Impeachment) formell eröffnet. Da das Repräsentantenhaus von den Demokraten dominiert wird, gilt eine Mehrheit als sicher. Die Sitzung war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendet.
Trotz der sicheren Mehrheit in der Kammer droht Trump nach jetzigem Stand kein baldiger Auszug aus dem Weißen Haus: Das eigentliche Verfahren wird voraussichtlich im Januar im Senat stattfinden, der dann die Rolle eines Gerichts einnimmt – und dort haben Trumps Republikaner die Mehrheit. Mindestens 20 von ihnen müssten sich auf die Seite der Demokraten schlagen, um die für eine Amtsenthebung nötige Zweidrittelmehrheit zu erreichen. Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, sagte dem Sender Fox News: „Es gibt keine Chance, dass der Präsident des Amtes enthoben wird.“
Dennoch ist schon das bisherige Verfahren ein gigantischer Makel in Trumps Präsidentschaft: Trump ist erst der dritte Präsident in der US-Geschichte, der sich einem Votum über ein Impeachment im Abgeordnetenhaus stellen muss. Wie sehr das Trump mitnimmt, machte besonders das Wutschreiben an Pelosi deutlich, das der Präsident „für die Geschichtsschreibung“ verfasst haben will und das die Adressatin „wirklich krank“ nannte. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Stephanie Grisham, sagte Fox News mit Blick auf Trump: „Er ist frustriert, wie der Brief gestern beweist.“
Trump selbst wies die Vorwürfe gegen sich vehement zurück: Die Anschuldigungen seien „wertlos“, „gegenstandslos“, ja „grotesk“. Das von den Demokraten angestrebte Verfahren sei „nicht mehr als ein illegaler, parteiischer Umsturzversuch“. Trump verstieg sich zu der Aussage: „Den Beschuldigten bei den Hexenprozessen von Salem wurde ein faireres Verfahren gewährt.“
In der Stadt Salem im US-Staat Massachusetts hatten 1692 Prozesse begonnen, bei denen zahlreiche Menschen der Hexerei beschuldigt wurden – und die 25 Menschen das Leben kosteten. Salems Bürgermeisterin Kim Driscoll verbat sich den Vergleich: „Lern ein wenig Geschichte“, twitterte sie. Bei den Hexenprozessen damals habe es keinerlei Beweise gegeben – anders als in der Ukraine-Affäre.