Der ewige Putin

von Redaktion

Fast viereinhalb Stunden steht Kremlchef Putin der Weltpresse in einer schrillen Medien-Show Rede und Antwort

Moskau – Gleich mehrfach nehmen Journalisten im internationalen Handelszentrum in Moskau Anlauf für die Frage aller Fragen an Kremlchef Wladimir Putin. Höflich und vorsichtig wollen sie wissen, wie es nach 2024 weitergeht. Da läuft die Amtszeit des Präsidenten aus, der vor 20 Jahren das Zepter der Macht in Russland übernahm. Eine Verfassungsänderung vielleicht, damit er bleiben kann? Putin gibt seinem Land ein Rätsel auf, indem er sagt, dass bei der Formulierung im Grundgesetz zu den zwei Amtszeiten der Zusatz „hintereinander“ gestrichen werden könne. Auch auf Nachfragen wird nicht klar, was Putin damit meint.

Der 67-Jährige muss zwar einräumen, dass es immer noch jede Menge Probleme in Russland gebe. Er macht aber auch deutlich, dass er die Lösung ist. Während Putin bei der Frage der Machtübergabe einmal mehr unverbindlich bleibt, zieht er unterm Strich eine selbstzufriedene Bilanz.

Das Militär sei im Vergleich zu Sowjetzeiten wieder stark und modern. Die Auslandsschulden seien gering. Und es gebe weniger Armut als in den chaotischen 1990ern nach dem Zusammenbruch des Kommunismus. Sogar der Kampf gegen Alkoholmissbrauch sei inzwischen so erfolgreich, dass die Russen weniger tränken als die Deutschen.

Bei dieser inzwischen 15. großen Pressekonferenz, fast viereinhalb Stunden lang, prallen wie immer bei seinen Begegnungen mit der Wirklichkeit Welten aufeinander. Drinnen fragen Journalisten, warum Ärzte – umgerechnet – nur ein paar hundert Euro verdienen; wieso viele Medikamente nicht verfügbar seien und und die Einkommen sinken. „Das ist sehr schlecht“, räumt der Präsident ein. Aber wie nach zwei Jahrzehnten mit Putin an der Macht – wahlweise als Präsident oder Regierungschef – Lösungen aussehen können, bleibt ungeklärt.

Draußen protestieren Frauen gegen politische Repressionen. Der prominente Oppositionelle Alexej Nawalny ätzt bei Twitter, dass Putin in der Vergangenheit lebe. „Es geht (…) ganz offensichtlich um die beiden drängendsten Themen für unser Land: Die Ukraine und die Diskussion um den Zweiten Weltkrieg.“ Nicht um Ärzte. Nicht um Korruption. Ein größeres Thema ist tatsächlich der 75. Jahrestag des Sieges der Sowjetunion über Hitlerdeutschland. Den will Putin groß feiern mit Staats- und Regierungschefs aus aller Welt.

Drinnen gibt es Applaus, Lob und kaum kritische Fragen – vor allem Dankbarkeit, dass sich der mächtigste Mann des Landes die Zeit nimmt. Journalistinnen in Sichtweite Putins tragen kurze rote Kleider; eine Reporterin trägt Indianerkostüm, eine andere kommt als Snegurotschka – also Schneeflöckchen, die Gehilfin des russischen Weihnachtsmannes. „Putin, ich liebe dich“, steht auf dem Plakat einer Frau. Ein Journalist hält eine hölzerne Ikone hoch und segnet Putin, weil dieser wie ein Heiliger Russland durch turbulente Zeiten führe.

Ernst wird Putin, als es um den Mord an dem Georgier im Berliner Tiergarten geht. Er gibt Deutschland erstmals Recht, dass Russland doch nie bei den Behörden in Berlin einen Auslieferungsantrag gestellt habe. Er nennt den Toten wieder einen Verbrecher – wie schon vor einer Woche bei einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel in Paris.

Manch ein Journalist ist von den Antworten enttäuscht. „Es ist, als ob ihn die Zukunft nicht interessiert“, sagt ein Korrespondent aus Sibirien. Die Ängste vor einer neuen Rentenreform? Unbegründet, sagt Putin. Die Sorgen um das große Müllproblem? Es gebe Gespräche, sagt Putin. CLAUDIA THALER

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