Was ist nachhaltig im Klimaschutz – und was radikal? Der frühere CSU-Chef Edmund Stoiber rät zu einem moderaten Kurs und wirft den Grünen vor, soziale Spaltungen und Brüche zu riskieren. Wir haben den 78-Jährigen zum Interview getroffen. 1971 war der junge Jurist übrigens Referent im damals neu gegründeten Umweltministerium.
Wir kommen alle aus den Weihnachtsgottesdiensten. Die Kirche ruft auf, mehr Flüchtlinge zu uns zu holen, vor allem Jugendliche aus den griechischen Lagern. Klingen der C-Partei CSU die Ohren?
Nein. Die CSU hat Humanität und Ordnung als Leitbild: Wir helfen, aber auf der Basis von Regeln und mit der Zustimmung der Bevölkerung. Ich halte es für dramatisch, wie derzeit Griechenland mit der Migration belastet und durch Europa alleingelassen wird. In der Ägäis muss deshalb Europa vereint beweisen, dass wir eine Werteunion sind, und dieses Problem lösen. Der Kontinent kann nur glaubwürdig bleiben, wenn wir jetzt gemeinsam handeln.
Klingt vernünftig – das dauert aber schon Jahre. Was spräche gegen einen regionalen Alleingang, junge Migranten zügig aufzunehmen?
Das Anliegen ist menschlich. Wir brauchen aber eben Humanität und Ordnung. Ein Alleingang führt nur dazu, dass sich einzelne Länder aus der europäischen Verantwortung ziehen dürfen.
Zweite Kernthese vieler Predigten: Die Regierung müsse mehr fürs Klima tun. Sind da Grüne und Kirchen die besseren Bewahrer der Schöpfung?
Der Unterschied zwischen Grünen und CSU liegt gerade darin, dass wir eine Volkspartei sind. Wir wollen Interessen ausgleichen. Dass Verzicht nötiger Teil von Umweltschutz ist, wird niemand bestreiten. Aber das muss alle Teile der Gesellschaft gerecht treffen und nicht nur die Menschen mit kleinerem Einkommen. Klimaschutz darf nicht auf dem Rücken des Busfahrers ausgetragen werden, der mit 2600 Euro brutto seine Familie durchzubringen hat.
Der Präsident des EU-Parlaments, Sassoli, warnt vor sozialem „Sprengstoff“.
Sassoli hat völlig Recht. Was er sagt, muss Grundlage des „Green Deals“ der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen werden. Das ist dort ein bisschen zu kurz gekommen. Langfristig werden wir auf eine ökologische Industriegesellschaft umsteuern. Wenn wir dieses Ziel aber absolut setzen und radikal angehen, wird es zu Brüchen kommen. Wir als Union sagen: Der Klimawandel wird viel schneller kommen, als wir bisher dachten, die Reaktionszeit ist kürzer. Aber es ist niemandem damit geholfen, jeden Tag den Weltuntergang zu prophezeien und den Menschen Angst zu machen.
Man muss den Umbau sozial abfedern?
Ja. Mich ärgert es, wenn zum Beispiel die Pendlerpauschale als „Privileg“ bezeichnet wird, das man abschaffen müsse. Das ist eine völlig weltfremde Sichtweise auf Menschen, die weite Wege zur Arbeit zurücklegen müssen und die von höheren Benzinkosten schwer getroffen würden.
Wie kann der Umbau der Wirtschaft funktionieren?
Wir sind ein Industrieland mit hohem Energiebedarf. Beim Umsteuern helfen uns keine Verbotslösungen und Limit-Diskussionen, sondern nur neue Technologien. Eine Wissensgesellschaft wie Deutschland – das Land der Erfinder, Ingenieure, Patentanmelder – muss den Anspruch haben, Forschung, Innovation und Perspektiven zu fördern. Genau da liegt der politische Widerspruch zu den Grünen.
Mit anderen Worten: Sie halten die grüne Klima-Fokussierung für asozial?
So weit würde ich nicht gehen. Aber: Die grüne Politik und die grünen Bewegungen haben den sozialen und gesellschaftlichen Ausgleich aus den Augen verloren.
CSU-Chef Söder wirbt für ein Planungs-Beschleunigungs-Gesetz. Wenn man sich Projekte anschaut wie die S-Bahn nach Geretsried, die seit 40 Jahren geplant wird – spricht er Ihnen aus dem Herzen?
Ja, keine Frage. Als ich Innenminister war, ab 1988, hatten wir 5000 Regeln, die das Bauen betroffen haben. Heute sind es über 20 000. Die Zahl der Normen hat sich auch aufgrund der Berücksichtigung vieler Individualinteressen vervierfacht. Jede hat eine Bedeutung, die meisten wurden politisch beschlossen, keine ist vom Himmel gefallen. Aber wir stellen jetzt fest, dass die Normenflut viel zu groß ist. Da müssen wir ran. Das Allgemeinwohl des Landes muss durch die Politik wieder einen höheren Stellenwert bekommen.
Interview: Georg Anastasiadis, Christian Deutschländer