Schwarz-grünes Experiment in Wien

von Redaktion

Kurz nach Neujahr wollen ÖVP und Grüne in Österreich ihren Koalitionsvertrag fertigstellen. Auf das Land könnte ein deutlicher Richtungswechsel zukommen. Ex-Kanzler Sebastian Kurz hat aber auch keine besseren Alternativen.

VON MATTHIAS RÖDER UND FABIAN NITSCHMANN

Wien – Welche Geschichte die konservative ÖVP und die Grünen in den kommenden Wochen erzählen wollen, steht schon fest. „Große Steine“ wurden da laut Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) aus dem Weg geräumt, „scheinbar unüberbrückbare Hürden“ aus Sicht von Grünen-Chef Werner Kogler überwunden. Hier haben sich zwei unterschiedliche Parteien bei ihren Koalitionsgesprächen mächtig für die Bürger ins Zeug gelegt – das ist die Botschaft. Dass es in Österreich erstmals zu einem Bündnis der beiden Parteien kommen wird, ist inzwischen so gut wie sicher.

Bis „Mitte kommender Woche“ sollen die Verhandlungen abgeschlossen werden. Die Grünen haben für kommenden Samstag zu einem Bundeskongress nach Salzburg eingeladen. Das Gremium mit fast 300 Delegierten muss einen etwaigen Koalitionsvertrag absegnen. Schon wenige Tage später – im Gespräch ist immer wieder der 7. Januar – könnten dann in Österreich erstmals Grünen-Politiker als Bundesminister vereidigt werden. „Wir stehen zwei Tage vor Silvester, diese Zeit und den Jahreswechsel wollen wir noch für einen letzten Feinschliff nutzen“, sagte Kurz der Nachrichtenagentur APA. „Einzelne wichtige Fragen sind noch offen und sollen in den nächsten Tagen geklärt werden“, ergänzte Kogler.

Drei Monate nach der Nationalratswahl scheinen also alle Weichen für eine Koalition von Konservativen und Grünen gestellt, der nicht zuletzt für Deutschland auch Signal-Charakter zugetraut wird. Dabei sind die inhaltlichen Hürden groß. Kurz will keine neuen Steuern, den Anti-Migrationskurs fortsetzen, wirtschaftsnah regieren. Lässt sich das mit den grünen Versprechen für mehr Klimaschutz und Transparenz sowie weniger Kinderarmut verbinden? „Eine Liebesheirat wird es nicht“, meint Politikberater Thomas Hofer. „ÖVP und Grüne bemühen sich um eine gemeinsame Erzählung, aber in der DNA gibt es massive Widersprüche.“

Die aktuellen Umfragen dürften die Parteichefs bestärken. ÖVP und Grüne legten in der Sonntagsfrage zuletzt zu und könnten ihre Ergebnisse vom Wahltag Ende September voraussichtlich leicht verbessern, die Kurz-Partei sogar die 40-Prozent-Hürde überspringen. Das Bündnis ist mit einer Zustimmung von 28 Prozent die beliebteste Koalitionsoption.

Der Siegeszug der beiden Parteien steht am Ende eines politischen Ausnahmejahrs. Im Mai war das weitgehend reibungslose Bündnis von ÖVP und rechter FPÖ an der Ibiza-Affäre des damaligen FPÖ-Vizekanzlers Heinz-Christian Strache zerbrochen. Strache wirkte in einem Video anfällig für Korruption. Der damalige Kanzler Kurz beendete die vom Ausland sehr kritisch beäugte Koalition und setzte alles auf eine Neuwahl. Das für Volksparteien ungewöhnliche Plus von satten sechs Punkten auf 37,5 Prozent hatte er aber nicht nur seinem politischen Instinkt zu verdanken. Denn die Sozialdemokraten mussten die Erfahrung machen, dass der Sturz eines populären Regierungschefs Stimmen kosten kann.

Die Krise der SPÖ hat sich nach dem schlechtesten Ergebnis aller Zeiten (21,2 Prozent) und weiteren Niederlagen bei Landtagswahlen weiter zugespitzt. Die Ärztin Pamela Rendi-Wagner gilt trotz ihres Durchhaltewillens als Parteichefin auf Abruf.

Der Niedergang der SPÖ findet eine Parallele bei der FPÖ. Die Rechtspopulisten kommen nicht zur Ruhe, vor allem die Ermittlungen zur Spesenaffäre ihres Ex-Chefs sorgen immer wieder für Negativschlagzeilen. Strache wird vorgeworfen, sich Parteigelder in die eigene Tasche gesteckt zu haben, was er vehement zurückweist. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Erst nach langen Diskussionen hat die FPÖ Strache inzwischen aus der Partei geworfen. Die Rechtspopulisten, die bald in der Opposition sitzen könnten, ließen sich noch ein Hintertürchen offen: Falls Schwarz-Grün scheitere, stehe man gerne zur Verfügung, ließ Parteichef Norbert Hofer wissen.

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